Gegründet 1947 Dienstag, 24. Juni 2025, Nr. 143
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 24.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kulturpolitik

Merkste was?

Die Berliner Staatsanwaltschaft entlastet Roger Waters
Von Gerd Schumann
imago86722623.jpg
Roger Waters in Chile (13.11.2018)

Die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters sind beendet. Das Verfahren wurde Mitte Mai eingestellt. »Meinungs- und Kunstfreiheit überwog«, so die Berliner Zeitung, der Tagesspiegel meinte, »es gilt die Unschuldsvermutung«. Ansonsten herrschte völlige Stille im Medienwald, der 2023 in der Sache Waters noch so laut gerauscht hatte. Wen interessiert schon der Unsinn von gestern, wenn dieser heute längst zum Standard geworden ist?

Zwei Jahre lang hatte das Landeskriminalamt »umfangreiches Material« zusammengestellt, Waters’ Berlin-Konzerte wurden geradezu seziert: So entstanden ein Hauptband und drei Sonderbände. Einzelheiten daraus sind nicht bekannt. Offenbar aber wurden kleinteilig die am 17. und 18. Mai 2023 in Berlin gespielten insgesamt 24 Songs analysiert, darunter insbesondere »In the Flesh?« und »Run Like Hell« vom Pink-Floyd-Album »The Wall« von 1979.

Nachgewiesen werden sollten »Verharmlosung des Holocaust« und »Antisemitismus« – was natürlich schwerfiel, da es die inhaltliche Tendenz des Werkes in ihr Gegenteil verkehrt. Sicher, die eindringliche Warnung vor Massenverführung, Terror und Rassenwahn wurde von Waters wie schon seit Jahrzehnten in langem schwarzem Ledermantel, mit dunkler Brille sowie roten Armbinden aufgeführt. Was hier freilich ein ästhetisches Mittel ist, um Hetze gegen Juden, Ausländer und Minderheiten allgemein zu entlarven, wie übrigens durch Bob Geldof noch drastischer als faschistische Bedrohung in Alan Parkers Film »Pink Floyd: The Wall« von 1982 dargestellt.

Indes wird in den letzten Jahren verstärkt ein erweiterter »Antisemitismus«-Begriff genutzt, um Protest gegen die zerstörerische Politik Israels gegen Palästinenser zu kriminalisieren. Der eigentliche Charakter des Antisemitismus als hochgefährliche Form der individuellen und gesellschaftlichen Abwertung von Juden, deren Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zum Völkermord, gerät auf diese Weise in den Hintergrund.

In ihrer Begründung zur Einstellung der Ermittlungen gegen Waters werten die Behörden nun, dessen Auftritt ließe »in der Gesamtschau nicht den Schluss« zu, »dass der ehemals Beschuldigte die nationalsozialistischen Greueltaten verherrlichen oder relativieren oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifizieren würde«. Bemerkenswert, dass sie das tatsächlich bemerkt haben.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Christoph Rhein (30. Mai 2025 um 10:36 Uhr)
    Es ist von seiten der Justiz geradezu absurd, dass Roger Waters ohne weiteres auf der »The Wall«-Tour 2010–2013 mit exakt diesen Zutaten auftreten durfte und sogar ein Maschinengewehr mit Platzpatronen bei »In The Flesh Pt. II« abfeuern konnte, und niemand was gesagt hat. Nur weil sich Roger Waters von vorneherein gegen die Kriegsmaschinerie des Westens gestellt hat und dieses seit mehr als 40 Jahren tut («The Final Cut», «Bring the Boys Back Home» 1990 in Berlin, «Amused to Death») ist er in Ungnade gefallen. Er ist kein woker Typ, sondern vertritt tatsächlich traditionell sozialistische und pazifistische Werte, die seitens der Kapitalisten gehasst werden. Und er nimmt im Gegensatz zum Renegaten Bob Dylan kein Blatt vor den Mund. «Is this the Life we really want» spricht eine Sprache für sich. Wenn ein Pazifist der besten Sorte symbolisch zur Waffe greift als Kunstfigur, so ist das nicht antisemitisch, sondern humanistisch. Nur weil er in bezug auf Israel tatsächlich einige problematische Sätze gesagt hat, die aus einem verbitterten Herzen kommen, sollte man ihn weiter arbeiten lassen, denn solange Roger Waters kreativ ist, fürchten sich die Menschen vor politischer Kreativität, die mit hervorragender Kunst verbunden, mehr bewirkt als so manche Demonstration unter dem Regenbogen. Genug der Worte, die Welt will Taten sehen. Nukleare Abrüstung aller Staaten sofort!

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Feuilleton

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!