Bitte kein Infrastrukturaufschwung
Von Lucas Zeise
In einer dieser Diskussionsrunden im Fernsehen trat vor einigen Tagen mal wieder Clemens Fuest auf. Der Mann war bis November 2024 engster Berater des damaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP) und ist immer noch im Hauptberuf Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo in München. Er klärte apropos der realistisch düsteren Wachstumsprognose des Sachverständigenrats (SVR) von null Prozent im laufenden Jahr – nach Schrumpfungsraten von 0,3 und 0,2 Prozent in den beiden Vorjahren – die Talkrunde darüber auf, dass Rezession hier eigentlich der falsche Begriff, sondern das Wort Stagnation angemessener sei.
Weder der SVR noch Fuest halten sich lange dabei auf, warum es gerade jetzt in unserem kapitalistisch-dynamischen Heimatland zu dieser, wie der SVR formuliert, »ausgeprägten Schwächephase« gekommen ist. Die fünf Wirtschaftsprofis stellen lediglich die auch im laufenden Jahr dominierenden Schwächekomponenten fest: schrumpfender Export, schwacher privater Konsum und schrumpfende Ausrüstungsinvestitionen. Der Konsum leidet ihrer Meinung nach auch 2025 noch unter den seit 2021 durch die schnell steigenden Preise entstandenen »Vermögensverlusten«, also real fehlender Kaufkraft. Dazu kämen die schlechten Aussichten für den Arbeitsmarkt. Der SVR rechnet in diesem Jahr mit einer um fünf Prozent auf 2,92 Millionen Personen steigenden Erwerbslosigkeit.
Erstaunlich ist immerhin, dass der SVR sich von den im März vom alten Bundestag erweiterten grundgesetzlichen Schuldenregeln erhofft, sie böten eine große Chance, dass sich die deutsche Wirtschaft nach jahrelanger Schwächephase endlich erholt. Höhere Schulden des Staates waren in der Vergangenheit stets des Teufels. Aber anstatt diese Meinungsänderung zu begründen, üben sich die Sachverständigen in der Kunst, herauszuarbeiten, dass die höhere Staatsverschuldung niemals und unter keinen Umständen dem Konsum dienen dürfe. Es stört dabei nicht, dass ihrer eigenen Analyse nach der schwache Konsum der wohl entscheidende Faktor für die darniederliegende Gesamtnachfrage ist.
Die dank der gelockerten Schuldenbremse zusätzlichen Staatsausgaben für Rüstung und Infrastruktur werden nach Einschätzung des SVR erst von 2026 an schrittweise wirksam werden. Ist die Regierung Merz-Klingbeil einfach zu langsam? Haben die 2018 von Wolfgang Schäuble eigens gegründete Autobahn GmbH und die Bahn keine fertige Prioritätenliste der neu zu bauenden Brücken und Strecken? Können im zweiten Halbjahr nicht wenigstens die ersten Aufträge erteilt werden? Offensichtlich nicht. Denn bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 weist Finanzminister Lars Klingbeil die Ministerien an: »Die Einzelpläne sind um die Maßnahmen, die zukünftig im Sondervermögen gemäß Artikel 143 h des Grundgesetzes finanziert werden, abzusenken.« Das heißt im Klartext, was an Staatsaufträgen für Infrastruktur über den Sonderfonds finanziert wird, darf an anderen Infrastrukturausgaben im Bundeshaushalt wieder unterlassen werden. Netto finden auf diese Weise keine Mehrausgaben für die angeblich so dringende Erneuerung der Infrastruktur statt. Der Sachverständigenrat ist offensichtlich zufrieden damit, dass aus der Ecke nützlicher Staatsausgaben kein Aufschwung droht. Der kommt erst 2026, wenn die Rüstungsindustrie in Schwung gekommen ist.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen
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