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Aus: Ausgabe vom 24.05.2025, Seite 8 / Inland
Diskriminierung von Geflüchteten

»Abschiebemeister in der BRD ist Bayern«

Bayerns Innenminister bejubelt Höchststand bei Ausreisen. Kritiker warnen vor Illegalisierung von Flucht. Ein Gespräch mit Stephan Dünnwald
Interview: Hendrik Pachinger
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Geflüchtete aus Sierra Leone demonstrieren in München gegen Abschiebungen (19.11.2021)

Vor kurzem hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann bekanntgegeben, dass die Zahl von »Einreiseverweigerungen« und »Aufenthaltsbeendigungen« einen neuen Höchststand erreicht habe. Sie sehen darin eine gefährliche Entwicklung. Wieso?

Die Zurückweisungen von Asylsuchenden sind ein klarer Bruch des Europarechts und stellen ein Kernelement der Europäischen Union in Frage, nämlich die Freizügigkeit. Wenn nun alle Staaten nach deutschem Vorbild wieder Grenzkontrollen einführten, wäre das fatal. Aber Abschiebemeister in der BRD ist Bayern. Die große Härte, mit der die Behörden hier vorgehen, verängstigt Geflüchtete. Sie fühlen sich in den Unterkünften nicht sicher, tauchen entweder unter oder flüchten weiter in ein anderes EU-Land. Hier produziert Bayern in erheblichem Maße eine Sekundärmigration, die massiv zur Illegalisierung beiträgt. Tatsächlich verschleiert Bayern diese Entwicklung, indem von »freiwilligen Ausreisen« gesprochen wird.

Welche Konsequenzen für Geflüchtete verantwortet ein staatliches System damit, dass es auf Hilfe angewiesene Menschen in die Illegalität drängt?

Illegalisierungsprozesse sind bedrohlich für Personen, da sie dadurch extrem vulnerabel und ausbeutbar werden. Dadurch werden Menschen gesellschaftlich extrem an den Rand gedrängt. Hier entstehen staatlich produzierte Notsituationen, die zum Beispiel verhindern, dass Kinder in die Schule gehen oder Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

Ende März hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits geurteilt, dass die Zurückweisungen an der bayerisch-österreichischen Grenzen vollständig rechtswidrig sind. Wie begründet der Bundesinnenminister die Fortführung der Kontrollen?

Der Innenminister begründet die Kontrollen nicht. Darüber hinaus ist es albern, angesichts stark fallender Flüchtlingszahlen von einer Notlage oder Gefährdung innerer Sicherheit zu sprechen. Die Zahlen fallen übrigens in ganz Europa und sind kein Effekt der deutschen Grenzkontrollen. Die offene Missachtung von EU-Recht durch Zurückweisung an nationalen Grenzen führt wiederum zu einer Schwächung Europas und einer Renationalisierung, für die die AfD der Taktgeber ist.

In bayerischen Städten gibt es Initiativen, die Tauschbörsen ins Leben gerufen haben, um das monatliche Bargeldlimit der Bezahlkarte von 50 Euro zu umgehen: Geflüchtete können mit der Karte Gutscheine kaufen, die ihnen Bürger dann gegen Bargeld tauschen. Die CSU will das verhindern. Sind die Verbotsforderungen eine reale Gefahr oder derzeit nur Rhetorik?

Derzeit wird vor allem eine Drohkulisse aufgebaut, denn der Kartentausch ist eigentlich ein vielfach geprüftes, völlig legales Vorgehen. Die Unionsparteien behaupten trotzdem, dass der Kartentausch rechtswidrig sei. Das heißt, für ein Verbot müsste ein entsprechendes Gesetz erlassen werden. Dies könnte kommen, ich gehe aber nicht davon aus, dass damit der Kartentausch per se unterbunden werden kann. Wir sehen aber, dass die Zivilgesellschaft gerade seitens der CSU immer mehr als Störfaktor gesehen wird. Vor allem im Bereich der Unterstützung von Geflüchteten geht ohne die Hilfe der Zivilgesellschaft nichts.

Die aktuelle Situation für Geflüchtete in Bayern ist geprägt von strukturellen Mängeln, Unterversorgung und Gewalt. Welche Rolle spielt hier das rechtliche Verhältnis zwischen BRD und EU?

Die Streichung von Leistungen für Asylsuchende, für die nominell ein anderer EU-Staat zuständig ist, ist eine weitere Maßnahme, die Geflüchtete in die Illegalität drängt. Auch hier ist Bayern vorne mit dabei. Mehrere Sozialgerichte haben daher Eilanträgen stattgegeben, weil die Leistungsstreichung der EU-Aufnahmerichtlinie zuwiderläuft. Fatal ist die Streichungen von Leistungen auch deswegen, weil oft nicht klar ist, ob die Überstellung in das zuständige Land überhaupt erfolgt. Zwischen dem Interesse Deutschlands, Dublin-Fälle loszuwerden und dem Interesse der zuständigen Staaten, diese nicht wieder aufnehmen zu müssen, drohen Geflüchtete aufgerieben zu werden.

Stephan Dünnwald ist ­Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats

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