Einfach mal machen
Von Alexander Kasbohm
Da Propheten im eigenen Lande wenig gelten, sind Xmal Deutschland hierzulande selbst musikinteressierten Menschen kaum bekannt, sofern sie sie damals nicht selbst erlebt haben. Das ergab zumindest eine nichtrepräsentative Umfrage im Freundeskreis. Und da dieses »Damals« nun auch schon 35 bis 45 Jahre zurückliegt, ist die Gruppe potentieller Interessenten an einem Boxset vermutlich recht klein und überaltert. Dennoch bringt ihr damaliges Label 4AD die ersten beiden Alben »Fetisch« und »Tocsin« unter dem schönen deutsch-englischen Titel »Gift« heraus, gestaltet vom legendären 4AD-Designer Chris Bigg mit Fotos vom großartigen Nigel Grierson.
»Fetisch« und »Tocsin« sind vielleicht nicht die besten Alben der Band, aber die repräsentativsten und somit hervorragend geeignet, die Band in Erinnerung zu rufen. Am interessantesten sind sicher die frühen Singles, doch die sind kürzlich auf einer anderen CD erschienen. Sehr gut ist auch das letzte, schamlos Pop (in seiner Glam-Trash-Spielart) umarmende Album »Devils« von 1998, aber das mochte kaum jemand. In Anschlag gebracht wurden die üblichen absurden Vorwürfe von »Kommerzialität« und »Ausverkauf« – mithin das Albernste, was man Pop vorwerfen kann.
Bei dem nun auch schon rund 30 Jahre andauernden quietschbunten 80er-Revival vergisst man leicht, wie trist speziell die ganz frühen 1980er waren. Das Revival fokussiert sich ja in Sound und Optik vor allem auf die kurze Spanne von 1983 bis 1984. Doch der Beginn des Jahrzehnts, den man kulturell gesehen irgendwo zwischen 1977 und 1979 ansiedeln kann, war eher eine kalte Endzeit zwischen nuklearer Bedrohung und Arbeitslosigkeit, und die Linke bestand aus zotteligen Späthippies ohne jeden Sinn für musikalische oder sonstige Ästhetik.
In diesem Umfeld fingen Anja Huwe (Gesang), Manuela Rickers (Gitarre), Fiona Sangster (Keyboard), Rita Simonsen (Bass) und Caro May (Schlagzeug) 1980 in Hamburg an, Musik zu machen. Um Alfred Hilsbergs Zickzack-Label begann sich gerade die originale Neue Deutsche Welle zu formieren. Bands wie Abwärts, Der Plan oder DAF verarbeiteten Punk/New Wave aus einer von deutschen Gesellschaftsverhältnissen geprägten Perspektive. Frust, Desillusionierung, Monotonie. Xmal Deutschland schafften als einzige wirklich den Sprung nach England. Nach den ersten Singles wurden sie vom Londoner Label 4AD unter Vertrag genommen. Für die Engländer klang ihre Musik wie die von Früh-Goth-Bands wie Bauhaus oder Joy Division. Ein interkulturelles Missverständnis, das nachvollziehbar ist, aber trotzdem ein Missverständnis bleibt, das die weitere Entwicklung der Band prägte.
Das Debütalbum »Fetisch« wurde 1983 von der Band mit 4AD-Chef Ivo Watts-Russell in London produziert. Rita Simonsen war zu diesem Zeitpunkt bereits durch Wolfgang Ellerbrock und Caro May durch Manuela Zwingmann ersetzt worden. Der Sound war behutsam professionalisiert und anglisiert, die Texte blieben weitgehend auf Deutsch. Was aber nicht entscheidend war, meist verstand man eh nur Wortfetzen. Die Riffs waren gleichförmig, das Strophe-Refrain-Prinzip spielte keine Rolle. Was den Reiz ausmachte, war die »Attitude«, das »Einfach mal machen«. Das Folgealbum »Tocsin« (1984) unter der Regie von Mick Glossop (Magazine, PiL, Penetration) ließ deutliche Fortschritte im Songwriting erkennen, aber auch eine weitere Domestizierung (sprich: UK-Gothifizierung) des Sounds. Der Appeal für das britische Publikum lag vermutlich nicht in der deckungsgleichen Menge (sie hatten ja selbst genug UK-Goth-Bands), sondern in der Differenz, in dem teutonischen Aspekt von Huwes klarem harten Gesang und der »motorischen« Trancequalität der Musik, den es schon beim Krautrock schätzte.
Es folgten noch das ziemlich perfekte, aber auch ziemlich uninteressante Album »Viva« und das aus der Art geschlagene »Devils« auf anderen Labels. Insofern ist die »Gift«-Box mit den beiden 4AD-Platten ein guter Einstieg für die nachfolgende Fangeneration und eine ästhetisch ansprechende Erinnerung für die Punk-Rentner.
Xmal Deutschland: »Gift« (4AD)
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