Gegründet 1947 Freitag, 23. Mai 2025, Nr. 118
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 23.05.2025, Seite 8 / Ausland
Massaker in Syrien

»Die UNO muss die Ermordung stoppen«

Wien: Protest vor dem UN-Sitz gegen Massaker an Minderheiten in Syrien. Ein Gespräch mit Aydin Sari
Interview: Dieter Reinisch, Wien
1000087880.jpg

Sie protestieren derzeit vor dem UN-Sitz in Wien gegen die Ermordung von Aleviten und anderen Minderheiten in Syrien. Warum gerade dort?

Wir wollen zeigen, dass in Syrien derzeit dasselbe passiert, was vor hundert Jahren in der Türkei zur Republikgründung geschah: Aleviten und Andersgläubige werden umgebracht und die ganze Welt schweigt.

Die Regierungen und internationale Organisationen schweigen nicht nur, sie haben Al-Dscholani, der auch als IS-Mitglied gemordet hat, als Staatspräsident aufgebaut. Westliche Regierungen, auch unser Bundeskanzler, sind plötzlich seine Freunde, treffen sich, reden über syrische Innenpolitik. Dass Kurden, Aleviten, Drusen ausgerottet werden, kommt dabei nicht zur Sprache. Sie machen Al-Dscholanis Taten salonfähig. Seine Regierung wurde vom Westen aufgebaut. Auch die UNO hat Augen und Ohren verschlossen. Daher beginnen wir hier in Wien vor dem UN-Sitz mit unserem ersten Protest. Das wird aber nur die erste Aktion von vielen sein. Die UNO muss die Ermordung von Aleviten, Kurden, Christen, Drusen und Muslimen, die sich gegen diese Banditen auflehnen, stoppen.

Wie liefen diese Massaker ab?

Wir hatten am Wochenende Professor Jens Kreinath nach Wien eingeladen. Er ist Experte für Menschenrechte in Syrien und hat eine Organisation zur Dokumentation der Massaker an den Aleviten in Syrien gegründet. Er berichtete detailliert, wie in Syrien vorgegangen wird: Zuerst kommt eine Gruppe und bricht in die Häuser ein, stiehlt die Wertsachen. Dann kommt eine Gruppe mit Autos und Lastwagen und stiehlt das größere Eigentum und die dritte Gruppe ermordet dann die Menschen. Es war in Syrien bekannt, dass die Aleviten ihr Geld und ihre Wertsachen und nicht zu den Banken gebracht haben, weil sie denen in der derzeitigen Situation nicht vertrauen. Sie hatten alles zu Hause. Viele sind in den Libanon geflüchtet, doch dort werden sie nicht als Asylsuchende anerkannt. Die geflüchteten Aleviten werden nicht gezählt. Die Neugeborenen der syrischen Aleviten im Libanon erhalten keine Dokumente. Dadurch wird nicht registriert, dass sie überhaupt geboren wurden. So kann man sie dann später wieder ohne Probleme loswerden.

Vor einigen Wochen wurde auch in westlichen Mainstreammedien über die Massaker berichtet. Seither schweigt man sich dort weitgehend aus.

Es war nur eine kurze Schilderung in den Medien, als die Massaker begannen. Aber sie gehen weiter. Wir nehmen an, dass 60.000 Aleviten ermordet oder verschwunden sind. Ganze Dörfer und Landstriche wurden ausradiert. Menschen werden bedroht, damit sie nicht mit internationalen Beobachtern und Medien darüber sprechen, dass jemand in ihrer Familie ermordet wurde oder verschwunden ist. Frauen werden regelmäßig verschleppt und verkauft. Wir wissen nicht, wie viele Menschen ermordet wurden. Viele Frauen, die verschleppt wurden, kommen nach einigen Wochen oder Monaten zurück. Ihnen wurde gesagt, ihre Familien würden ermordet werden, wenn sie jemandem erzählen, wo sie waren, daher sagen sie internationalen Beobachtern nur, sie hätten etwas länger Freunde besucht. Ein Problem ist auch die Zukunft der Kinder. Viele haben alle Verwandten verloren und leben nun ohne Unterstützung auf der Straße.

Wer organisiert diesen Protest in Wien?

Wir sind zwei Organisationen: Die Frei-Aleviten kommen aus der türkischen und kurdischen Gemeinschaft. Die Shams-Vereinigung ist eine Initiative von syrischen Aleviten in Wien. Viele haben Angehörige, die den Massakern zum Opfer gefallen sind. Eine Aktivistin verlor zwölf Familienmitglieder bei den Massakern in Syrien.

Drohungen gegen Sie gab es auch in Österreich.

Uns wurde über die sozialen Medien mit der Vernichtung gedroht, falls wir Proteste in Wien organisieren. Wir vermuten, dass das radikale Islamisten sind, die den Al-Dscholani-Clan unterstützen. Sie wollen nicht, dass wir zeigen, wie die Situation in Syrien derzeit wirklich ist.

Aydin Sari ist Vorsitzender der Frei-Aleviten in Wien

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Überraschender Abzug: Im Juni 2013 zog Österreich seine Soldaten...
    04.05.2018

    Soldaten filmen Mord

    Video zeigt, wie österreichische Soldaten syrische Polizisten am Golan nicht vor Hinterhalt warnten
  • Von den bewaffneten Gruppen gehaltenes Viertel im Ostteil von Al...
    16.11.2016

    Aleppo unter Beschuss

    Bewaffnete Gruppen feuern auf Westteil der syrischen Stadt

Mehr aus: Ausland

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!