Tot in Madrid
Von Reinhard Lauterbach
Der ukrainische Jurist und frühere Politiker Andrij Portnow ist am Mittwoch in der Nähe von Madrid auf offener Straße erschossen worden. Nach Berichten spanischer und internationaler Medien geschah die Tat gegen 9.15 Ortszeit, als Portnow gerade seine zwei Töchter in die US-amerikanische Schule der wohlhabenden Vorstadt Pozuelo de Alarcón gebracht hatte. Zeugen sagten aus, der Täter habe mehrere Schüsse auf den in seinem Auto telefonierenden Portnow abgegeben, drei oder vier in den Brustkorb und einen letzten »Fangschuss« in den Kopf. Anschließend fuhr der Täter auf einem Motorrad davon, das eventuell von einem zweiten Beteiligten gesteuert wurde. Eine Suche der spanischen Polizei nach dem oder den Killern blieb zunächst erfolglos.
Der aus Lugansk stammende Portnow hat zwischen 2006 und 2014 in der ukrainischen Politik Karriere gemacht: zunächst als Abgeordneter der Partei von Julija Timoschenko. Nach deren Wahlniederlage gegen Wiktor Janukowitsch wechselte er auf die Seite des Siegers und setzte seinen Aufstieg in der Präsidialverwaltung fort. Anfang 2014 war er einer der Autoren eines Gesetzes, das ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot für Demonstrationen einführte und in der Anhängerschaft des »Euromaidan« als repressiv kritisiert wurde. Nach dem Staatsstreich verließ er die Ukraine und lebte in Wien. Dort arbeitete er – offenbar nicht ohne Erfolg – als Anwalt. 2019 kehrte er in die Ukraine zurück und versuchte sich der Selenskij-Administration mit Insiderinformationen über angebliche Korruption unter dem ersten Nach-Maidan-Präsidenten Petro Poroschenko anzudienen. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 verließ er die Ukraine erneut, diesmal nach Spanien.
Gegen Portnow wurde mehrfach der Vorwurf erhoben, er sei »prorussisch« oder »separatistisch« eingestellt gewesen. Mehrere Ermittlungsverfahren mit konkreten Vorwürfen, dass er etwa die russische Übernahme der Krim maßgeblich vorbereitet habe, mussten mangels Beweisen eingestellt werden. Auch die EU, die Portnow 2014 aus ähnlichen Gründen auf eine Sanktionsliste gesetzt hatte, musste diesen Schritt 2016 nach einer gerichtlichen Niederlage wieder rückgängig machen. Sanktionen der USA gegen Portnow blieben jedoch bestehen. Diese waren 2021 offiziell damit begründet worden, dass Portnow unter Wiktor Janukowitsch die Justiz der Präsidialverwaltung untergeordnet habe. Oppositionelle ukrainische Medien schrieben hingegen, der wahre Grund sei gewesen, dass Portnow über korruptive Bestrebungen der US-Demokraten in der Ukraine unter Präsident Joe Biden recherchiert habe. Seit dem Verlassen der Ukraine war Portnow nicht mehr unmittelbar politisch aufgetreten. Dass er sich 2019 in die Selenskij-Ukraine zurückgetraut hatte, spricht eher dagegen, dass dort viel gegen ihn vorgelegen haben kann.
In der »reformorientierten« Szene der Ukraine wurde die Ermordung Portnows jedenfalls mit offener Genugtuung aufgenommen. Aktivisten diverser Antikorruptionsportale überschlugen sich geradezu mit Enthüllungen darüber, wie übel ihnen Portnow durch seine zahlreichen Klagen gegen ihre Vorwürfe mitgespielt habe – zumal er die meisten davon gewann. Das galt den Aktivisten als Beweis dafür, wieviel Einfluss Portnow auch zehn Jahre nach seiner Entmachtung in der ukrainischen Justiz noch genossen habe. Auch offiziöse Medien in Kiew äußerten mehr als »klammheimliche Freude«: In einem der ukrainischen Präsidialverwaltung nahestehenden Fernsehsender wurde nach dem Anschlag offen darüber spekuliert, wen die Geheimdienste des Landes noch liquidieren könnten; fähig und bereit dazu seien sie zweifellos. Anatolij Scharij war einer der dort genannten Todeskandidaten. Der ebenfalls im spanischen Exil lebende ukrainische Blogger hat bereits darauf hingewiesen, dass auch er wegen seiner kritischen Äußerungen über die Nach-Maidan-Ukraine, besonders die Korruption und Inkompetenz ihrer Spitzenpolitiker, schon mehrfach von ukrainischen Geheimdiensten mit dem Tod bedroht worden sei. Scharij nannte mehrere Vorfälle an seinem Wohnort an der spanischen Mittelmeerküste, wo Unbekannte ihn und seine Frau mit Schusswaffen bedroht hätten.
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