»Er stand auf der Todesliste des MIT«
Interview: Gitta Düperthal
Der bekannte kurdische Politiker Yüksel Koç, von 2016 bis 2023 Kovorsitzender des Kongresses der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa, KCDK-E, wurde am Dienstag in seiner Wohnung in Bremen festgenommen. Wie lief das ab?
Frühmorgens am Dienstag, gegen sieben Uhr, begann die Polizei ihre Razzia. Yüksel wurde festgenommen, Computer, USB-Sticks, Broschüren, Fotos und andere Beweismaterialien aus seiner Wohnung wurden beschlagnahmt. Niemand aus seiner Familie durfte bis mittags rein oder raus. Yüksels Anwältin, die dabei war, betonte, dass sein Engagement stets öffentlich, legal und politisch gewesen sei. Die Polizei verbrachte ihn nach Karlsruhe, wo er dem Ermittlungsrichter vorgeführt wurde, der Haftbefehl gegen ihn erließ. Nun ist er in der JVA Bremen in Untersuchungshaft.
Ihm wird eine Mitgliedschaft in der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, vorgeworfen. Die aber hat Anfang Mai ihre Selbstauflösung erklärt. Wie ist dieses Vorgehen zu erklären?
Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft hat er sich durch seine Beteiligung an einer »terroristischen« Vereinigung im Ausland nach den Paragraphen 129 a und b StGB strafbar gemacht. Eine individuelle Straftat, unabhängig von der mutmaßlichen Mitgliedschaft, wird ihm nicht vorgeworfen. Weshalb die deutschen Behörden ausgerechnet in so einer Zeit gegen einen Friedensaktivisten wie Yüksel in der Weise vorgehen und ihn kriminalisieren, ist nicht zu verstehen. Er wollte Friedensinitiativen nach dem gesellschaftspolitischen Paradigma Abdullah Öcalans und der kurdischen Freiheitsbewegung voranbringen.
Im Oktober 2017 wurde ein Agent des türkischen Geheimdienstes MIT vom Hamburger Oberlandesgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er Yüksel Koç ausspioniert und ihm Drohnachrichten geschickt haben soll. Wie ist angesichts der Vorgeschichte die jetzige Festnahme zu verstehen?
Man versteht nicht, auf welcher Seite der deutsche Staat eigentlich steht. Mehmet Fatih S. hatte zugegeben, ihn ausspioniert zu haben. Das war keine kleine Sache damals. Er sagte, dass er nur Informationsgeber gewesen sei. Yüksel stand auf der Todesliste des MIT.
Reicht der Einfluss des türkischen Staates bis in die Bundesrepublik?
Warum will man Yüksel ausgerechnet jetzt kriminalisieren und in Haft nehmen? Man könnte meinen, die Geschichte wiederholt sich. Immer dann, wenn ein Friedensprozess mit der Türkei eingeleitet werden soll, sollen kurdische Aktive, die an diesem Prozess beteiligt sind, aus dem Weg geschafft werden. So wurden im Januar 2013 die drei Kurdinnen Sakine Cansız, Gründungsmitglied der PKK, die Aktivistin Leyla Söylemez und Fidan Doğan, Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses in Paris, mitten in der französischen Hauptstadt erschossen. Yüksels Festnahme widerspricht den erklärten Absichten der Bundesregierung, eine politische Lösung zu unterstützen.
Steht diese Entwicklung im Zusammenhang mit der aktuellen Lage in der Türkei, wo seit der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu am 19. März verstärkt Oppositionelle in die Gefängnisse gesperrt werden?
Die kurdische Bewegung hat Verantwortung übernommen. Dass sie sich frei organisieren und politisch betätigen kann, ist Voraussetzung für einen erfolgreichen Friedensprozess. Das türkische Regime nutzt letzteren für seine Machtoptionen. Erdoğan und seine AKP haben Ansehen verloren in der Türkei, weil sie Tausende Menschen in die Gefängnisse eingesperrt und das Land wirtschaftlich in den Ruin getrieben haben. Der ultrarechte MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli will auf eine Verfassungsänderung hinarbeiten, um Erdoğan den Weg für eine erneute Kandidatur zu ebnen. Deutschland darf nicht länger Nationalisten in der Türkei stärken, die den Friedensprozess sabotieren.
Am Mittwoch wurde in Bremen vor der Bürgerschaft protestiert?
Dort gab es Kritik am Vorgehen der deutschen Behörden, politisch engagierte kurdische Menschen genau dann noch schärfer zu kriminalisieren, wenn eine Friedenslösung in Sicht ist. Wir fordern die Freilassung von Yüksel. Ihm wurde Unrecht angetan.
Mehmet Zeki Koç ist Mitglied des Kongresses der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E) in Bremen
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