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Aus: Ausgabe vom 23.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Licht und Kritik

»Instant Holograms on Metal Film« – Stereolabs erstes Studioalbum seit 15 Jahren
Von Tim Meier
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Kluge Köpfe: Stereolab

Man möchte meinen, dass Lætitia Sadier und Tim Gane mit Stereolab nach 35 Jahren sämtliche Grenzen ausgelotet haben. Vom ursprünglichen Kraut-Postpunk bis zum Dreampop haben sie sehr innovativ an bemerkenswert vielen Stellen gewildert. Ihr Underground-Hit »French Disko« war kämpferisch genug, dass der teutsch-trotzkistische Dirk von Lowtzow von Tocotronic es mit den Beatsteaks coverte. Spätestens seit 2019 sind die Konzerte Stereolabs weltweit ausverkauft, Raritäten bestens gehandelt. Die Fangemeinde ist weiterhin beschäftigt, etwa mit der 19teiligen Youtube-Playlist »Stereolab Origins«, die in über 60 Stücken wichtige Einflüsse der Band aufzeigt.

So weit, so langweilig? Man könnte die versponnene, ausgeklügelte Musik, das referentielle Gesamtkonzept einmal mehr loben, ein paar neue Songs besprechen – fertig wäre die Rezension. Was freilich bedeuten würde, das marxistische oder annähernd marxistische, in jedem Fall eminent kritisch-politische Musikprojekt Stereolab gründlich zu reduzieren – hübsch gemacht, was für liberale Bildungsbürger, bauchlinke Hochkulturliebhaber, selbsternannte Plattenpäpste.

Wer so blind ist für Wesentliches am Werk Stereolabs, die teils recht offensichtlichen Referenzen in Texten und Titeln nicht erkennt, lebt möglicherweise in einer blickdichten Blase. Eine Blase, wie gemacht auch für gebildete, romantisch veranlagte Stereolab-Fans zum Schutz ihrer »schönen Seele« (Hegel) – eine geistige Haltung, die sich vom »Bösen« zu distanzieren sucht. Überhaupt: Der bösen Realität und politischer Verantwortung begegnet man heute vorzugsweise mit der Flucht in Wohlfühlblasen von Social Media oder in andere sicher abgeschirmte Räume, wo man sich permanent zup(r)ostet, meint, auf der richtigen Seite zu stehen, ohne nachdenken zu müssen.

Stereolab sagen dazu höflich, aber bestimmt: »nein«. Bei ihrer letzten Tournee spielten sie das fröhliche »Delugeoisie«, eine nonchalante Abrechnung mit dem bürgerlichen Selbstbetrug. Auf dem jüngsten Album »Instant Holograms on Metal Film«, dem ersten nach 15 Jahren, führen Sadier und Gane inhaltlich wie musikalisch die Linie fort. Nach kurzem Intro beerdigt »Aerial Troubles« die bourgeoise Hoffnung, der Barbarei durch Betäubung (in der Blase) zu entfliehen, »Melodie Is a Wound« benennt poetisch, aber sehr deutlich die von oben durchgesetzte Zensur in Zeiten einer neuen Ökonomie des Krieges.

Die Dresche der Band gilt der herrschenden Klasse und jenen, die sie aus Selbsterhaltungsgründen, möglicherweise »unter Bauchschmerzen«, weiter mittragen. Darunter sind gewiss auch ein paar typische Stereolab-Fans. Verprellen lassen werden sie sich wohl nicht. Und es ist ja auch so: Stereolab sehen mit Peter Hacks »Die Schwärze der Welt am Eingang des Tunnels«. Mit dem Wissen, dass der Tunnel einen Ausgang, die Finsternis keine Ewigkeit dauern muss, könnte man Hoffnung schöpfen. Auf »Instant Holograms on Metal Film« ist sie, die Hoffnung, bei aller Kritik an den »schönen Seelen« musikalisch immer spürbar. Der Fluchtpunkt ihrer Musik besteht aus Licht.

Stereolab: »Instant Holograms on Metal Film« (Warp/Duophonic)

Tourtermine: 26.5., Gloria-Theater, Köln; 28.5., Gruenspan, Hamburg; 29.5., Huxleys Neue Welt, Berlin; 30.5., Zoom, Frankfurt am Main; 12.6., Feierwerk (Hansa 39), München; 19.6., Club Manufaktur, Schorndorf

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