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Aus: Ausgabe vom 22.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Gefundenes Fressen des Tages: Übergewichtskontrolle

Von Arnold Schölzel
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Auf der Waage

Aus der Bundesrepublik der Bausparer wurde das Land der »Kaloriensparer« (Ernährungsweiser Udo Pollmer), also der Schlankheitswahnsinnigen. Entsprechend sind die politischen Zustände: Der letzte dicke Kanzler, Helmut Kohl, ist tot und Ludwig Erhard wurde schon vor 60 Jahren zigarrepaffend vom Hof gejagt. Ekelhaft ungesund jedenfalls im Gegensatz zu dem dürren Hochrüstungsfan von heute. Denkt sich auch Sultan Erdoğan und lässt auf gut muslimbrüderisch seinen Landeskindern auflauern: Auf Straßen und Plätzen, vor Fußballstadien, in Parks und an U-Bahnstationen stehen seit dem 10. Mai in der Türkei staatliche Kontrolleure, laut Augenzeugen ausnahmslos gut genährt und mit Efes-Wampen ausgestattet, die Verdächtige, ausnahmslos dicke Menschen, auf Waagen stellen, und bei sogenanntem Übergewicht Abnehmen verordnen. Das Übergewicht errechnen die Magerfleischschnüffler mit Hilfe des Body-Mass-Index, einer bei US-Versicherungskonzernen beliebten Formel, um der Kundschaft fette Prämien aufzubrummen. Da bei allen Säugetieren mit dem Alter Fettgehalt und Gewicht zulegen, bis es am Lebensabend wieder runter geht, verdienen die Drückerkonzerne gut wegen angeblich geringer Lebenserwartung bei Übergewicht.

Am Mittwoch bekamen deutsche Ernährungshelfer wie Spiegel und Bild Wind von der türkischen Fettsuche und mokierten sich: Nicht wegen des Ansinnens, eine Schuhgröße für alle, pardon, ein »Idealgewicht« für alle durchzusetzen, sondern weil das der Sultan mit seinen Gesundheitsämtern macht. Die gibt es hierzulande kaum noch, oder sie sind nur per Fax erreichbar. Bis es anders wird, gilt die Pollmer-Maxime, die der Chemiker 2011 als Antwort auf die Brigitte-Frage »Was würden Sie dicken Menschen raten, die abnehmen wollen?« gab: »Das Gleiche, das Sie großen Menschen raten würden, die kürzer werden wollen.«

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