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Aus: Ausgabe vom 22.05.2025, Seite 8 / Feuilleton
Tag der Kriegsdienstverweigerung

»Sie galten als Feiglinge, obwohl sie total mutig waren«

Tag der Kriegsdienstverweigerung: Theater und Literatur als Werkzeuge für den Frieden. Ein Gespräch mit Karoline Hugler
Interview: Marc Bebenroth
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Weltweit wurde am 15. Mai der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung zum Anlass genommen, um über dieses Grundrecht aufzuklären. Wie groß war das von Ihnen wahrgenommene Medienecho?

Weder online noch in der Mehrheit der großen Zeitungen wurde groß berichtet. Das gilt auch für das Konzert der »Lebenslaute« am Brandenburger Tor am Sonnabend mit rund 200 leeren Stühlen für die unbekannten Deserteure. Statt dessen gibt es Umfragen, wonach eine große Mehrheit für eine Rückkehr zur Wehrpflicht sei, oder Porträts über Verweigerer, die plötzlich doch zur Armee gehen würden. Es wird die Linie der kriegstreibenden, aufrüstenden Politik unterstützt.

In Werder an der Havel machen Sie politisches Theater. Wie bringen Sie das Thema auf die Bühne?

Wir hatten am Comédie Soleil 2016 ein Stück über die beiden zu Unrecht zum Tode verurteilten und am 23. August 1927 hingerichteten Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Sie wurden wegen Raubüberfall und Mordes angeklagt. In der von Hass auf Immigranten und Italiener geprägten Stimmung wurde ihnen auch zur Last gelegt, im Ersten Weltkrieg den Kriegsdienst im US-Militär verweigert zu haben. Zum Gedenktag anlässlich der Bücherverbrennung durch die Nazis hatten wir eine Lesung mit Texten von Autorinnen, unter anderen Bertha von Suttner, die 1889 den wichtigen Roman »Die Waffen nieder!« veröffentlichte.

Im Februar hatten wir mit einem satirischen Stück übers Kanzlerwerden auch darüber aufgeklärt, dass die Bundeswehr Offiziere in Schulen schickt. Sie rekrutiert seit langem 17jährige. Ich bezweifle, dass ihnen vermittelt wird, was es heißt, Soldat zu sein: Dass man töten muss oder getötet werden kann; dass man miterlebt, wie um einen herum Menschen sterben; dass man allein vom Wehrdienst traumatisiert werden kann.

Welche Möglichkeiten bieten Theater und Literatur, das kritisch zu präsentieren?

Man könnte schockierende Videos zeigen oder schockierende Performances aufführen. Aber das ist nicht unser Ansatz. Wir setzen eher auf die Empathie des Publikums.

War das auch die Motivation für Ihren Debütroman?

Das Motiv des Deserteurs hat mich seit meiner Jugend fasziniert. Für mich war das damals schon das Richtigste, was ein Mensch tun kann, der nichts mit dem Konflikt zwischen Staatsoberhäuptern zu tun hat. Inspiration des Romans war ein Traum, den ich vor vielen Jahren hatte: Ein junger Mann und ein Kind sind in einem Zirkuswagen, während das Lager von Verfolgern durchkämmt wird.

Haben Sie für Ihr Buch historisches Material herangezogen oder Betroffene befragt?

Ich habe mit Großvätern und Urgroßvätern gesprochen sowie Literatur über Wehrmachtsdeserteure und Todesurteile studiert. Zitate daraus habe ich teils wörtlich für meinen Roman genutzt. Männer wurden als »ungefestigt kindlich« bezeichnet oder gar als »Psychopath« abgestempelt. Verweigerer wurden als Feiglinge eingestuft, obwohl sie in Wahrheit total mutig waren. Es gab die, die einfach Angst um ihr Leben hatten und zurück zu ihren Liebsten wollten. Aber es gab auch jene, die aus politischen oder moralischen Gründen nicht für die Wehrmacht töten wollten.

Welchen Grund hat Ihr Protagonist?

Die Achtung vor dem Leben sowie der Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung. Er war an der Front und hat gesehen, was dort Schreckliches geschieht. Ich datiere die Geschichte nicht genau. Er fährt mit einem Zug mit Dampflok vom Heimaturlaub zurück Richtung Front, als ihm klar wird, was ihn erwartet. Aus einem Impuls heraus springt er aus dem Zug in ein Feld aus Sonnenblumen.

Wie schwer ist es, für eine Deserteursgeschichte einen Verlag zu finden?

Es hat eine Weile gedauert. Ich hatte das Manuskript vor dem Ukraine-Krieg fertig. Schließlich hat der Erzählverlag mir direkt zugesagt und 2024 konnten wir das Buch veröffentlichen – in dieser Zeit auch eine Art Friedensarbeit, ein Statement gegen Krieg und Zwangsdienst an der Waffe.

Karoline Hugler ist Schauspielerin, Regisseurin und Autorin. Von ihr erschien 2024 im Erzählverlag der Deserteursroman »Meer von Sonnenblumen«

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