»Abschreckung war das Ziel«
Interview: Max Ongsiek
In Flensburg wurden am vergangenen Montag elf Kriegsdienstverweigerer mit Stolpersteinen geehrt. Über die Meuterei auf der »M 612« vor 80 Jahren war außerhalb Flensburgs und der DDR wenig bekannt. Warum wurden Sie, ein westdeutscher Journalist aus Düsseldorf, 1967 mit der Recherche zu diesem Thema beauftragt?
Ich saß damals mit einer befreundeten Kollegin im Restaurant des damaligen Presseclubs in der Berliner Friedrichstraße. Während des Essens machte ich mich mit einem Redakteur der jungen Welt namens Gerd Stuchlik bekannt, der mir eine spannende Geschichte erzählte. Das heißt, das war noch gar keine Geschichte, das war nur ein Hinweis auf einige Namen und ein schreckliches Ereignis am Ende des Krieges. Und dann haben wir – ich in der BRD und er in der DDR – angefangen zu recherchieren.
Wie ist man in der DDR auf den Fall aufmerksam geworden?
Stuchlik hatte von der Familie eines Betroffenen einen vergilbten Zettel in Sütterlinschrift mit fünf oder sechs Namen bekommen. Für die Recherche in Westdeutschland spannte er mich dann ein. Mein Verbündeter war damals das Magazin Stern. Das hatte in den späten 1960er Jahren eine durchaus linksliberale Redaktion. Mit deren Hilfe haben sich dann für meine Nachforschung einige Türen geöffnet.
Was war denn über die Meuterei bekannt, bevor Sie mit Ihrer Recherche anfingen?
Überhaupt nichts. Nur dass da irgendwo Matrosen erschossen worden sind. Wahrscheinlich gegen Kriegsende.
Wie sind Sie und Ihr Kollege im Osten im Zuge der Recherche vorgegangen?
Ich habe zunächst Familienangehörige und Betroffene befragt. Zunächst in der Lüneburger Heide, dann in Neuss bei Düsseldorf. Dort lebten die Eltern von Heinrich Glasmacher. Der hatte den Aufstand angeführt. Mit dem zusammengetragenen Wissen habe ich die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht angefragt. Bekommen habe ich von denen eine komplette Namensliste der Opfer, sowie das Standgerichtsurteil. Mit dem Wissen bin ich nach Sønderborg in Dänemark gefahren. Dort bin ich am Hafen durch Zufall auf den Fischer Henry West gestoßen, der damals sieben gefesselte Leichen aus dem Hafen gefischt hatte. West führte mich zu dem Kreisarzt, der wiederum die Totenscheine mit der Todesursache Hinrichtung ausgestellt hatte. Alles sehr amtlich dokumentiert. Zudem habe ich mit der Kriminalpolizei in Sønderborg gesprochen, die in den ersten Nachkriegstagen noch ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet hatte.
Was haben Sie über die ermordeten Soldaten herausgefunden?
Mit zwei Überlebenden war ich in Sønderborg. Die zeigten mir genau, wo damals das Schiff gelegen hatte. Auch habe ich den Matrosengefreiten Schulte in Paderborn besucht. Der gehörte zu den Angeklagten, ist dann aber freigesprochen worden. Er hatte gelogen, um der Exekution zu entgehen. Schulte habe ich später auch für »Rottenknechte« interviewt. Außerdem habe ich versucht, mit involvierten Offizieren zu sprechen. Reinhart Ostertag, der Kommandant des Schiffes, bestätigte mir die Erschießungen. Die Disziplin sollte aufrechterhalten werden, lautete seine Ausrede. Hugo Pahl habe ich auch getroffen, der war damals Führer der Minenschiffe. Ich wollte von ihm wissen, warum er die Todesurteile in seiner Funktion als »oberster Gerichtsherr« bestätigte, obwohl der Krieg schon vorbei war. Seine Antwort war – und ich habe mir das wörtlich notiert: »Wir waren alle damals der Meinung, dass wir gemeinsam mit den Westmächten gegen den kommunistischen Osten weiterkämpfen werden.« Deshalb sei Abschreckung geboten gewesen.
Ihre Recherche floss in eine 29teilige Serie der jungen Welt ein. Aus dieser entstand der fünfteilige Fernsehfilm »Rottenknechte« von Frank Beyer. Wie fielen denn die Reaktionen in West und Ost aus?
Tatsächlich habe ich weder für den Stern noch für die junge Welt geschrieben. Ich habe nur die Basisinformationen geliefert. Die Stern-Veröffentlichung hat in der BRD aber einiges Aufsehen erregt. Gegen das Magazin wurde übel geschimpft und gedroht. Aber geworden ist daraus nichts. In der DDR wurden drei Marineschiffe nach den Ermordeten benannt.
Hugo Braun lebt in Düsseldorf und war Journalist
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