Galoppierende Entrechtung
Von Niki Uhlmann
Ein Befund, der nicht überraschend kommt: »Die Ausübung ziviler Freiheiten wird offensiv und mit bislang nie dagewesener Intensität behindert oder verboten«, ist in dem am Mittwoch vorgestellten Grundrechte-Report 2025 zu lesen. Früher habe man hinzugewonnene und verlorene Rechte dokumentiert, sagte Maximilian Steinbeis, Geschäftsführer des Verfassungsblogs, auf der Pressekonferenz. Inzwischen würden die Fortschritte »immer seltener« und Rückschritte »immer häufiger« – ein »tintenschwarzes Bild«.
Besonders schlecht steht es um die Rechte von Migranten. 2024 wurde die Bezahlkarte eingeführt, um Flüchtende abzuschrecken. Wissenschaftliche Einwände, dass Vertriebene »sich von sozialpolitischer Gängelung nicht abschrecken« ließen, dass ferner »keine belastbaren Hinweise auf relevante Geldströme« vorlägen, seien ignoriert worden, hält Andrea Kothen fest. Durch »elektronische Repression« würden letztlich Integration und Teilhabe erschwert. Das verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die im vergangenen Oktober vorgenommene, »vollständige Streichung der Sozialleistungen während des Asyl-Zuständigkeitsverfahrens« untergrabe die Menschenwürde zusätzlich. Ferner höhle das neue Grenzregime das Grundrecht auf Asyl aus, heißt es in einem anderen Kapitel. Gegen Artikel 1, 3 und 16 des Grundgesetzes wird im Namen rassistischer Abschottung verstoßen.
Wo Freiheiten eingeschränkt werden, braucht es Repressionsbehörden, die Verbote durchsetzen und Widerstand niederhalten. Der Report liefert Beispiele für Grundrechtsverstöße genau dort, wo Recht durchgesetzt werden soll. So liefen »heimliche Überwachung und Speicherung gewonnener Daten« dem Recht auf »informationelle Selbstbestimmung« zuwider, schreibt Anna Luczak. Viele Polizeigesetznovellen seien darum von Verfassungsgerichten kassiert worden, so auch im Jahr 2024. Gesetzgeber hielten diese rechtlichen Schranken jedoch nicht immer ein. Verstöße gegen Artikel 2 des Grundgesetzes nehmen sie folglich billigend in Kauf.
Diese Stimmung beflügelt offenbar auch die staatlichen Exekuteure, die im vergangenen Jahr mit 38 Menschen so viele Opfer forderten wie nie zuvor. »Üblich ist die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen«, analysiert Britta Rabe. Begründet würde dies regelmäßig mit dem »polizeilichen Narrativ der Notwehr«, das medial wie vor Gericht »breite Akzeptanz« erfahre, letztlich aber das Signal sende, überbordende Polizeigewalt sei »alternativlos«. Rabes beängstigendes Resümee: »Dem Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit« würde »damit nicht nachgekommen«.
Noch lieber ist dem Staat, wenn es zu Protesten gar nicht erst kommt. Darum werden zusehends auch Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Unter dem Vorwand, einzelne Demonstranten könnten Straftaten begehen, seien 2024 zahlreiche Versammlungen verboten oder unrechtmäßig aufgelöst worden, erklärt Matthias Goldmann. Diese Argumentation würde insbesondere gegen palästinasolidarische Proteste in Anschlag gebracht. Die Staatsräson habe sich »zu einem Selbstläufer entwickelt, der ohne Verankerung im Grundgesetz zur Überverfassung zu werden droht«.
Die Rechtsgrundlagen der bürgerlichen Gesellschaft erodieren. Steinbeis mutmaßte, dass die staatliche Macht das Recht womöglich nicht mehr brauche, »um Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit zu mobilisieren«. Heute gibt es dafür andere Mittel: umfassende Überwachung, tödliche Gewalt und Zensur.
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