Gegründet 1947 Mittwoch, 21. Mai 2025, Nr. 116
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 21.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Die Einfalt der Vielfalt

Kontroverse? Keine Spur. So war das Berliner Theatertreffen 2025
Von Gert Hecht
11.jpg
Die Kunst am Boden: »Double Serpent« vom Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Festivalstimmung kommt beim Berliner Theatertreffen nicht mehr auf. Abends kann man nicht mehr unter den Kastanien in der Schaperstraße plaudernd die diesjährige Zehnerauswahl verdammen oder loben, weil in Wilmersdorf offenbar Leute wohnen, die das Konzept Großstadt ablehnen. So liegt das Haus der Berliner Festspiele nach den Vorstellungen verlassen da, ein großer Austausch findet nicht statt. Wer noch diskutieren mag, verdrückt sich in die umliegenden Bars wie die Kleine Philharmonie.

Festivalstimmung kommt auch deswegen nicht auf, weil verordnete Langeweile herrscht, wo offiziell Diskussionen angesetzt sind. Debatte oder gar Kontroverse? Keine Spur. Statt dessen gibt es Nabelschau beim Jubiläum des Internationalen Forums, dem Stipendiatenprogramm zur Vernetzung. Was da erzählt wird, wenn nicht gerade der Peymann-Dramaturg Hermann Beil spricht, ist für alle Unbeteiligten von derartiger Belanglosigkeit, dass man das Gruseln bekommt.

Die Abschlussdiskussion mit der Jury, die über 700 Stücke gesichtet und davon zehn nach Berlin eingeladen hat, darf sich rühmen, mit jedem Jahr noch langweiliger zu werden. Inhaltliche Auseinandersetzung oder Streit werden auf dem Podium tunlichst vermieden, dafür hört man zum wiederholten Mal, wie das Auswahlprozedere abläuft – eine Diskussionsverweigerung. Das Publikum wirkt entsprechend sediert. Hatte Theater nicht mal irgend etwas mit Konflikt zu tun?

Statt Konflikt gibt’s immer schön Vielfalt. Vielfalt ist gut, weil Einfalt natürlich blöd ist. Und seitdem man im Theater denkt, es sei schon wahnsinnig politisch, sich ein Glitzerplakat mit der Aufschrift »Wir sind viele« an die Wand zu hängen, kommt man über solche Bekenntnisgebrauchslyrik nicht mehr hinaus. Dass es immer mehr als nur bürgerliches Theater gab und noch immer gibt, ist eine Banalität, die »in Zeiten wie diesen«, wie es inflationär heißt, noch unerträglich aufgeblasen wird.

Was war neu beim am vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Theatertreffen? Theater mit Virtual-Reality-Brille – zeitgemäß wird das Publikum voneinander isoliert – gilt nun auch als sehr bemerkenswert. Ersan Mondtags Gruselkitschtheater gilt noch immer als bemerkenswert (leider nicht neu). Florentina Holzingers moralischer Nackttanz gilt als Endstufe Feminismus und Kim de l’Horizons bemühte schwule Selbstdekonstruktion »Blutbuch« als Endstufe Queer (auch nichts Neues).

Sonstige Vorkommnisse, gar Erkenntnisse? Tanzstücke von Pina Bausch sind auch nach 50 Jahren noch so toll, dass man sie wiederaufführen kann, gezeigt wurde »Kontakthof – Echoes of ’78«. Und es lohnt sich, den guten alten Bertolt Brecht mit historischer Aufführungspraxis und einer Fortschreibung zu konfrontieren, wie bei »Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei« von Luise Voigt und Björn SC Deigner, auch wenn dieser Abend bei den Hauptstadtfeuilletons am schlechtesten abschnitt.

Das Eröffnungsstück »Bernarda Albas Haus« von Katie Mitchell war eine eindringliche Erinnerung daran, dass der Horror dort die schlimmsten Blüten treibt, wo Realität – selbst aus womöglich nachvollziehbaren Gründen – ausgesperrt wird. Ähnlich – und doch ganz anders, weil viel besser – zu sehen bei »ja nichts ist ok« von René Pollesch und Fabian Hinrichs, dem vermutlich einzigen Abend des diesjährigen Theatertreffens, über den man auch in zehn Jahren noch sprechen wird.

Zwar ist bei der Eröffnung viel vom Abgrund und finsteren Zeiten die Rede, in denen das Theater Hoffnung verbreiten soll, doch konkreter wird’s kaum. In der Krise regrediert das kleinbürgerliche Bewusstsein auf ein Pingpong von Panikmache und Mutmachsprüchlein. Dass vor kurzem die Theater noch wegen Virenalarm dichtgemacht wurden und es nun Panzer statt Party heißt, war letztlich kaum zu merken. Und wo man über Kürzungen oder »Rechtsruck« spricht, bleibt es banal.

Dem Theater ist ein schleichender Realitätsverlust zu diagnostizieren, und das Theatertreffen hat diesen künstlerischen Rückzug vor der Welt – mit löblichen Ausnahmen – trefflich dokumentiert. Man kuschelt sich ein, im Weltuntergangssound oder beim Erbaulichen. Dem Publikum wird – auch hier mit Ausnahmen – kaum etwas zugemutet oder wenn, dann nur Holzingers Wiederaufguss des Wiener Aktionismus. Wenn nichts mehr geht, geht Retro, wusste schon Mark Fisher. Armes Theater.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Regio:

Mehr aus: Feuilleton