Israels Rückhalt schwindet
Von Gerrit Hoekman
Es war die größte Demonstration in den Niederlanden seit 20 Jahren. Schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen gingen am Sonntag in Den Haag friedlich auf die Straße. Passend zur Losung »Wir ziehen eine rote Linie für Gaza« trugen die meisten von ihnen rote Kleidung. Sie forderten von der niederländischen Regierung, endlich Schritte gegen Israel zu unternehmen. Keine Frage: In den traditionell israelfreundlichen Niederlanden tut sich etwas. Laut Umfragen ist eine große Mehrheit der Bevölkerung inzwischen der Meinung, dass Israel mit seinen brutalen Angriffen auf den Gazastreifen deutlich zu weit geht. Die Wut über die Ereignisse nehme im Land eindeutig zu, sagte Peter Kanne vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos I&O am Sonntag der niederländischen Tageszeitung AD.
Doch nicht nur in den Niederlanden scheint sich etwas zu verändern. Auch in Israel werden kritische Stimmen zum Gazakrieg lauter. So sagte der ehemalige Generalmajor der israelischen Streitkräfte, Jair Golan, laut Jerusalem Post am Montag im Rundfunk, das Land sei auf dem Weg zum Paria der internationalen Staatengemeinschaft zu werden, »falls es sich nicht wieder wie ein vernünftiges Land verhält. Ein vernünftiges Land tötet keine Babys als Hobby«.
Großbritannien, Frankreich und Kanada drohten am Montag abend Israel in einer gemeinsamen Erklärung mit »konkreten Maßnahmen«, sollte es die neue Gazaoffensive nicht einstellen und die Beschränkungen der Hilfslieferungen aufheben. Ob es sich dabei um mehr als die üblichen Lippenbekenntnisse handelt, blieb unklar. Doch selbst ein solches brachte der niederländische parteilose Ministerpräsident Dick Schoof nicht heraus. Er hatte den Protestierenden nichts mitzuteilen. Statt dessen gratulierte er in einer Videobotschaft der Stiftung »Zentrum für Information und Dokumentation Israel« (Cidi) zum 50. Geburtstag. Cidi gilt als eine der wichtigsten Organisationen der sogenannten Pro-Israel-Lobby in den Niederlanden. Zu der gehört zweifelsohne auch Geert Wilders, die graue Eminenz der niederländischen Rechten. »Ich zeichne auch eine rote Linie. Gegen den Terror und die Aushungerung der eigenen Bevölkerung durch die Hamas und für die größtmögliche Zerstörung ihrer mörderischen Infrastruktur. Und für Israel«, schrieb der Islamhasser am Sonntag auf X.
Nach anderthalb Jahren Krieg hat Israel fast alle Hemmungen abgelegt. Die am Montag gestartete Großoffensive hat ganz offen das Ziel, den gesamten Gazastreifen zu besetzen und die verbliebenen Palästinenser in Lager an der Grenze zu Ägypten zusammenzupferchen. Seit Dienstag nacht wurden mindestens 87 Palästinenser durch israelische Luftangriffe getötet, berichtete die lokale Gesundheitsbehörde am Dienstag nachmittag. Seit der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche wurden demnach täglich weit über 100 Leichen geborgen.
14.000 Babys könnten in den nächsten 48 Stunden sterben, sollte Nahrung sie nicht rechtzeitig erreichen, sagte Tom Fletcher, Leiter der humanitären Hilfe der UNO, am Dienstag morgen der BBC. Obwohl 20 Lkw mit Lebensmitteln angekündigt waren, erreichten am Montag nur fünf den Küstenstreifen. »Ein Tropfen auf den heißen Stein« und völlig unzureichend für die Bedürfnisse der Bevölkerung, so Fletcher. Wie viele der für Dienstag angekündigten 100 Lkw die Enklave erreichen werden, ist offen. Der extrem rechte Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte am Montag abend, die Regierung habe die minimalen Hilfen erlaubt, »damit die Welt uns nicht aufhält und uns Kriegsverbrechen vorwirft«. Das Ziel bleibe aber bestehen: »Wir vernichten alles, was in dem Streifen noch übrig ist.«
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