Gepflegt an die Wand fahren
Von Ralf Wurzbacher
Der Vorstoß von Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) zur Einführung eines Pflegegeldes erfährt Zuspruch bei Sozialverbänden. »Gut, dass pflegende Angehörige endlich einen finanziellen Ausgleich für ihre geleistete Pflege bekommen sollen«, erklärte etwa VdK-Präsidentin Verena Bentele am Dienstag per Medienmitteilung. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wünscht sich eine Auszahlung »mindestens in Höhe des Elterngeldes«, und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine einkommensabhängige Staffelung in der Bandbreite zwischen mindestens 300 Euro und maximal 1.800 Euro. Prien hatte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe von einem »riesengroßen Interesse« Deutschlands gesprochen, dass eine solche Leistung komme.
In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD »tiefgreifende strukturelle Reformen« im Gesundheits- und Pflegebereich in Aussicht gestellt. Unter anderem wolle man prüfen, wie sich »perspektivisch« ein Familienpflegegeld etablieren lasse. Reichlich unverbindlich drückte sich jetzt auch die Ministerin aus. Und das nicht nur, weil pflegende Rentnerinnen und Rentner in ihrem Vorschlag nicht auftauchen. Nur soviel: Man müsse den »Einstieg« schaffen, allerdings nur unter besseren ökonomischen Bedingungen. Zitat: »Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert. Aber auch, wenn das klappt, wird man Schwerpunkte setzen müssen.« Das weckt Erinnerungen an die »Kindergrundsicherung«. Die galt einst als zentrales sozialpolitisches Projekt der abgewählten Ampelkoalition, wurde aber schließlich komplett abgeräumt.
Die Idee eines Pflegelohns ist nebenbei auch eine Absage an auskömmliche Versorgungsstrukturen, die sich am Bedarf orientieren würden. »Es wird mit unserer demographischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird«, bemerkte dazu Prien. Im Übrigen hat sie Wichtigeres zu tun. Oberste Priorität habe für sie mehr Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche. Das muss sich noch zeigen. Beim VdK jedenfalls begegnet man ihrem Vorschlag mit Vorsicht. Der Verband plädiert für einen »einkommensunabhängigen Pflegelohn« je nach Pflegegrad, und lediglich als »Zwischenschritt« für eine Bemessung nach Einkommenshöhe. Allerdings dürfe die Umsetzung nicht an der schwächelnden Konjunktur scheitern, stellte Verbandschefin Bentele klar.
Das aber zeichnet sich ab. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat angesichts seiner Etatplanungen für das laufende und kommende Jahr erhebliche Einschnitte in jedem Ressort angekündigt, motiviert noch durch die neueste Steuerschätzung, wonach der Gesamtstaat bis 2028 über 80 Milliarden Euro weniger einnimmt. Insofern wirkt Priens Ansage schon jetzt wie ein leeres Versprechen. Zumal es zur Stabilisierung der Pflege noch viel mehr bräuchte. Gegenüber dem Tagesspiegel vom Dienstag sprach Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa von jährlich 4,7 Milliarden Euro extra – davon zwei Milliarden Euro für »flexible Pflegebudgets« und noch einmal zwei Milliarden Euro, »um aus Pflegezeit und Familienpflegezeit ein alltagstaugliches Entlastungsangebot zu machen«. Nötig sei dies, »damit Angehörige die Pflichten, die sie als Pflegende übernehmen, besser mit ihrem sonstigen Leben vereinbaren können«. Für »Gesundheitsökonom« Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement in Essen, ist derlei undenkbar. Mit einem Pflegegeld bestehe die Gefahr, »dass Anreize zur Arbeitszeitreduzierung gesetzt werden«, sagte er der Funke-Mediengruppe.
Der Vorschlag Priens ist nach Ansicht von Evelyn Schötz eine »Mogelpackung«. Was als »großer Wurf« verkauft werde, sei »kaum mehr als eine planlose Überschrift mit Fußnote«. Entsprechend harsch fiel am Dienstag die Kritik der Pflegeexpertin der Linke-Fraktion im Bundestag aus: »Für Millionen pflegende Angehörige ist das ein Schlag ins Gesicht. Wer ernsthaft helfen will, muss mehr liefern als eine Bankrotterklärung, getarnt als vage Absichtsbekundung«, teilte sie mit. Pflege dürfe kein Armutsrisiko mehr sein und nicht weiter auf dem Rücken von Frauen abgeladen werden. Sie stellen mit großem Abstand den größten Teil der pflegenden Angehörigen – meist unbezahlt, häufig in Teilzeit gedrängt und mit erheblichen Folgen für ihre eigene Altersvorsorge, erinnerte Schötz an die gesellschaftlichen Realitäten.Siehe Seite 8
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