Warnungen in den Wind geschlagen
Von Bernard Schmid
Die Küstenstadt Dakhla soll künftig im Zentrum der »königlichen Atlantikinitiative«, also des neuen kontinentalen Infrastrukturprojekts Marokkos, stehen. Nur gehört diese Stadt nicht zu Marokko, sondern liegt im südlichen Teil der okkupierten Westsahara – bis 1979 wurde sie von Mauretanien beansprucht und besetzt, doch dann wurden die mauretanischen Truppen von der Westsahara-Befreiungsfront Polisario geschlagen und zogen ab.
Die Frage, ob Wirtschaftspartner in der EU Produkte oder Unternehmen in der besetzten Westsahara einfach als marokkanische behandeln dürfen, wurde wiederholt dem EU-Gericht (EuG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt und in mehreren Entscheidungen zwischen 2016 und 2024 von ihnen beantwortet. Die Antwort dazu lautet klar: nein.
Zuletzt entschied der EuGH am 4. Oktober 2024 in einem Rechtsstreit, bei dem die linke französische Agrargewerkschaft Confédération paysanne – kurz »Conf« – einerseits, das Landwirtschafts- und das Wirtschaftsministerium Frankreichs auf der anderen Seite als Prozessgegner auftraten. Die Conf hatte für ein Importverbot von Landwirtschaftserzeugnissen aus der besetzten Westsahara gestritten und die Etikettierung dieser Produkte als »marokkanisch« kritisiert. Die beiden Ministerien hatten dieses Ansinnen der progressiv-ökologischen Bauerngewerkschaft abgelehnt.
Der Gerichtshof entschied dazu: »Nach Artikel 60 des Zollkodex der Union gelten als Ursprungswaren eines Landes oder Gebiets die Waren, die entweder dort vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind oder dort der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen wurden. Infolgedessen ist das Ursprungsland der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse das Land oder Gebiet, in dem sie geerntet wurden. Das Gebiet der Westsahara stellt aber ein vom Hoheitsgebiet des Königreichs Marokko gesondertes Gebiet dar.« Der EuGH zog dergestalt die Schlussfolgerung aus der Einstufung der Westsahara etwa durch die Vereinten Nationen als »nicht selbständiges Gebiet«, was gemäß der UN-Begrifflichkeit bedeutet, dass es noch der Entkolonisierung harrt.
Dies hindert führende westliche Staaten wie die USA 2020/21, Spanien 2022, Frankreich 2024 und jüngst in diesem Jahr Belgien nicht daran, offiziell den marokkanischen staatlichen Anspruch auf die Westsahara als Teil seines Territoriums anzuerkennen. Zuletzt kündigte die staatliche französische Entwicklungsagentur AFD Investitionen in der Westsahara an, in Absprache ausschließlich mit Marokkos Behörden. Diese nehmen die Form von rückzahlbaren Krediten in Höhe von 150 Millionen Euro zur »Entwicklung« des Gebiets an. Der Chef der Agentur, Remy Rioux, hielt sich zudem vom 9. bis 12. Mai in den beiden wichtigsten Städten der Westsahara auf, Laâyoune und Dakhla. Die Polisario-Front warnt allerdings davor, in der besetzten Westsahara tätig zu werden. Das könne vor dem Hintergrund der Rechtslage teuer werden.
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