Anfang einer Symphonie
Von Christian Stappenbeck
Im späten römischen Reich, das von den »Säulen des Herkules« (Gibraltar) bis zur Grenze Persiens reichte, von Britannien bis Afrika, tummelten sich zahlreiche Religionen. Sie waren von Staats wegen überwiegend geduldet, sofern sie bei bestimmten Anlässen dem gottgleichen Kaiser etwas Weihrauch zu opfern bereit waren – das heißt, vor einer Bildsäule des Herrschers einige Körnchen des kostbaren Stoffes zu verbrennen. Der Haupttempel in Rom war immer noch das Capitolium mit dem göttlichen Dreigestirn Jupiter, Juno und Minerva. Auch in den Kolonien des Reiches wurde die Capitolinische Trias in Tempeln verehrt.
Oft mehr oberflächlich als andächtig befolgte die Oberschicht der Römer und Griechen weiterhin die Rituale um die Götterfamilien von Jupiter bzw. Zeus als eine liebgewordene Tradition. Als Schutzgeister des heimischen Haushaltes wurden die altrömischen Laren und Penaten verehrt. Doch der internationale Verkehr rund um das Mittelmeer führte zu einer Durchmischung der religiösen Landschaft. Kaufleute, Migranten und auswärtige Soldaten brachten ihre eigenen Götter mit. Orientalische Mysterien, astrologische Erlösungslehren, griechische Gnosis, ägyptischer Isis- und persischer Mithras-Kult verbreiteten sich. Gerade bei den Armen und Unterdrückten spielte das Thema Erlösung, im Sinne der Befreiung von den Übeln der Jetztzeit, eine große Rolle.
Eine der Erlösungsreligionen, das Christentum, wurde zeitweilig hart unterdrückt. Stein des Anstoßes war vor allem, dass die Christen nicht dem Kaiser huldigten. Keiner hätte seinerzeit zu prophezeien gewagt, dass gerade dieser »unheilvolle Aberglaube« (Tacitus) alle anderen in den Schatten stellen, ja in historisch kurzer Zeit die Staatenwelt Europas dominieren würde. Nach einer letzten planmäßigen Verfolgungswelle ab 303 erschien es den bedrängten Gläubigen wie ein Wunder: Das Toleranzedikt des Kaisers Galerius¹ vom April 311 erlegte ihnen nur noch auf, »zu ihrem Gott für unser Wohl, für das Wohl des Staates und für ihr eigenes zu beten, damit der Staat in jeder Hinsicht vor Schaden bewahrt bleibt«. Das bisherige Weihrauchopfer für den Herrscher war passé. Bald schon erklärte Konstantin (Kaiser von 306 bis 337) den Sonntag zum gesetzlichen Feiertag, wobei die Verehrung seines Lieblingsgottes Sol invictus (die Unbesiegte Sonne) mit dem Ruhetag der Christen verschmolz.² »Alle Richter und Einwohner der Städte, auch die Arbeiter aller Gewerke, sollen am ehrwürdigen Tag der Sonne ruhen.« Wenige Jahrzehnte später war das Christentum die einzige Staatsreligion; und für das harmonische Zusammenspiel von Kirche und Staat fand sich der schöne griechische Begriff »Symphonia«.
Der soziale Nährboden
Eine Reihe von Merkmalen hatte die Religion erfolgreich gemacht. Anfangs war es eine Sache der kleinen Leute, denen der Auferstehungsglaube und die Verheißung auf Erlösung attraktiv waren, nicht weniger aber auch der Gleichheitsgrundsatz »da gilt nicht Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau – ihr seid alle eins in Christus Jesus« (Galaterbrief 3,28), das heißt die Anerkennung ihrer Person. Dazu traten die moralisch strengen Regeln, darunter das Verbot der gängigen Kindestötung.³ Wichtig waren die gemeinsamen Mahlzeiten als feste Einrichtung. Sodann gab es die soziale Hilfe: die Gemeinschaftskasse zum Unterhalt der Bedürftigen, der Witwen und durchreisenden Glaubensbrüder. Unter den Religionen war das Christentum die einzige, die systematisch missionierte. Wanderprediger, Apostel genannt, sorgten für die Verbreitung des Glaubens (»propaganda fidei«) und für die Verbindung unter den Ortsgemeinden. Das reichsweite Organisationsgefüge festigte sich, als mehr und mehr Begüterte zur Gemeinde stießen und es möglich machten, hauptberufliche Amtsträger zu bezahlen – Priester, Bischöfe, Diakone. Es war auch nicht selten, dass Reiche ihr Vermögen testamentarisch der Kirche vermachten. So erwarben sie die Krone des ewigen Lebens, ohne zu Lebzeiten schon auf das Angenehme verzichten zu müssen.
Auf welchem sozialen Boden hatten sich die christlichen Gemeinden gebildet? Die Gesellschaft der Spätantike ab dem 4. Jahrhundert war in vier bedeutende Klassen gegliedert. Ganz oben die großen und mittleren Grundbesitzer, die potentes (Mächtigen), von denen die Senatoren und der Ritterstand besonders privilegiert waren.⁴ Darunter folgten mit eigenen Produktionsmitteln die Handwerker aller Art – die Töpfer, Tuchmacher, Schmiede – sowie die Kleinbauern und die durch Pachtverträge zunehmend geknebelten Kolonen. Unter diesen wiederum stand die wachsende Zahl der besitzlosen, aber freien Armen, der proletarii (»Erzeuger von Nachkommen«). Viertens dann die Sklaven, in Italien rund ein Viertel der Bevölkerung. Freigelassene Sklaven, libertini, konnten das Bürgerrecht erlangen.⁵ Neben diesen spielten auch die Händler eine Rolle, die Bürokratie und die kolossale Armee, die den größten Posten im Staatsbudget beanspruchte. Um die notwendigen Staatseinnahmen, vor allem die zunehmend drückende Steuerschraube, kümmerten sich die publicani, Steuereintreiber und Zöllner. Die Ausplünderung der Provinzen sicherte den Reichtum Roms.
Es war eine Gesellschaft im Niedergang, noch nicht im Untergang – der Verfall eines Imperiums, nicht nur des römischen, kann sich lange hinziehen. Und doch, es gab dessen ungeachtet Erscheinungen der Kultur, die keine Spur von Niedergang oder Verfall aufwiesen. Die Geschichtsschreibung erlebte eine Blütezeit. Dichtkunst, bildende Kunst und Kunsthandwerk (etwa Mosaike) hielten ein hohes Niveau aufrecht, auch wenn es quantitativ zum Rückgang kam. Der Grundzug im Leben der Unterprivilegierten aber war die stetige Verarmung. Sie lebten an der Grenze des Existenzminimums, ohne Aussicht auf Besserung. Es fehlte jeder Anreiz für eine verbesserte Produktionsweise, immer mehr Äcker verödeten, das Desinteresse wuchs. Jürgen Kuczynski bemerkt dazu, dass die Abwehrkämpfe der ausgepowerten Schichten keinen Fortschritt brachten – im Gegenteil: sie wurden »zu einer Triebkraft in den Abgrund sinkender Produktivität, sinkender Arbeitsqualität, sinkender Technik, sinkender Kultur allgemein, sowohl auf der Seite der Herrschenden wie auf seiten der unterdrückten Klassen. (…) (Ein) Großteil der Überbauverhältnisse drückte indirekt, fast möchte man sagen unbewusst, ebenfalls auf die Produktivkräfte«.⁶
Solch eine Überbau-, also keine Alltagsgeschichte ist auch unser Bericht vom nicänischen Streit. Dem einfachen Gemeindemitglied von damals werden die praktischen Fragen der Armenfürsorge, Unterstützungsfonds und Abendmahlsgemeinschaft wohl wichtiger gewesen sein als die Lehrsätze des Dogmas, jedenfalls in der Regel. Bei dem Glaubensbekenntnis von Nicäa wie bei anderen religiösen Formeln und mystischen Lehren lassen sich die real-materiellen Ursachen und Hintergründe oft nur schwer erhellen.
Das unerforschliche Geheimnis
In Alexandria grübelte der Stadtpfarrer Arius⁷ über das unerforschliche Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes. Ein Rätsel, das es in sich hatte: Ein Gott in drei Personen, drei Erscheinungen, wie sollten sich diese zueinander verhalten? War Christus zeitlos und ungeschaffen wie Gott selbst, ihm also gleich?
Die reiche Hafenstadt Alexandria westlich vom Nildelta, die zweitgrößte der Antike, war Heimstatt berühmter Schulen von Denkern; darunter die Schule der neuplatonischen Gottesgelehrten, die Bibelbegriffe und philosophische Spekulationen verknüpften. Arius las in den heiligen Schriften, Jesus der Messias (der »Gesalbte«, Christus) sei durch göttlichen Geist gezeugt und von einer Jungfrau als Mensch geboren. Also, schloss Arius messerscharf, geht Gott-Vater zeitlich seinem Geschöpf – dem Sohn – voran und muss einen höheren Rang innehaben. Seine These wurde zum Streitthema unter den Amtskollegen.
Die meisten Kollegen waren weniger grüblerisch veranlagt. Sie waren überzeugt, nur als vollgültiger Gott wäre Jesus zum Erlöser qualifiziert. (Wie wichtig war doch die garantierte Erlösung!) Darum dürfte die erhabene Göttlichkeit des Heilands nicht rangmäßig herabgestuft werden. Der Bischof versuchte im Gespräch, den Amtsbruder Arius von der »Irrlehre« der »Unterordnung des Sohnes« abzubringen. Als das nicht fruchtete, wurde der Abweichler 319 per Beschluss der Regionalsynode abgesetzt und exkommuniziert. Das war nicht nur ein Berufsverbot, sondern der Kirchenausschluss. Die Brandfackel für einen unversöhnlichen Streit war geschleudert. Prompt setzte eine Welle der Solidarisierung mit Arius ein. Sieben Presbyter, zwölf Diakone, 700 Jungfrauen⁸ und die Mehrheit der Bischöfe Kleinasiens unterstützten ihn, darunter Eusebios von Nikomedia. Der gewährte dem Freund Arius Schutz und Asyl.
Der arianische Streit um die Trinität erschütterte die Provinzen des griechischsprachigen Orients. Konstantin, der zunächst nur Kaiser des Westreichs war, ab 324 aber über alle Reichsteile herrschte (das heißt auch über den Osten, den er gern religiös befriedet hätte), meinte, Druck von oben müsste die Einigkeit herstellen. Zwar war der Kaiser weder durch religiöse Erleuchtung noch durch wissenschaftliche Studien imstande, einen Glaubensartikel zu erörtern, aber er schrieb einen diplomatisch klugen Brief. Darin erklärte er den Streit über etwas Unerforschliches für müßig. Der Bischof Alexander habe durch spitzfindige Fragen den Streit töricht angefacht und Arius habe unklug geantwortet; es gehe nicht an, das christliche Volk durch solch unerhebliche Feinheiten zu spalten. Konstantin schloss mit der persönlichen Bitte, die gegenseitigen Verdammungen zu beenden. Doch er hatte nicht mit der Halsstarrigkeit – anders gesagt Prinzipienfestigkeit – der Kontrahenten gerechnet. Darauf rieten ihm seine Ratgeber zu einem wirkungsvollen, wenn auch teureren Mittel: Der Kaiser berief ein ökumenisches, das heißt reichsweites Konzil aller Bischöfe nach Nicäa (griechisch Nikaia, heute türkisch İznik) ein, unweit seiner Residenzstadt Nikomedia.
Die zwanzigtausend Muslime, die heute İznik bewohnen, werden sich kaum dafür interessieren, was dreihundert christliche Bischöfe vor 1.700 Jahren in ihrer Stadt debattierten und beschlossen. Genauso wenig, wie es im Thüringer Wald heute jemand interessieren wird, was zu jener Zeit die Wodanspriester unter heiligen Bäumen für Rituale erörterten. Der Unterschied: Vom germanischen Priestergespräch kennen wir kein Ergebnis, während die Entschließungen der Bischöfe ihre Langzeitwirkung bis heute haben. Denn sie verabschiedeten das grundlegende Credo des weltweiten Christentums.
Das erste Reichskonzil
Was bedeutete eine konziliare Versammlung? Zur Entwicklung der Bischofskirche mit ihren Synoden (auf lateinisch Konzil) gibt es aus der Feder Karl Kautskys eine frühe marxistische, immer noch lesenswerte Untersuchung: »Der internationale Charakter der Bewegung trug weiter dazu bei, die Macht des Bischofs zu steigern. (…) Tauchten Streitfragen auf oder wurde eine gemeinsame Regelung in irgendeiner Angelegenheit erforderlich, dann traten jetzt Kongresse von Delegierten der Gemeinden zusammen, Provinz-, aber auch schon Reichssynoden seit dem zweiten Jahrhundert. Anfangs dienten diese Zusammenkünfte bloß der Besprechung und Verständigung. Sie konnten nicht Beschlüsse mit zwingender Gewalt fassen. Denn jede einzelne Gemeinde fühlte sich souverän.«⁹ Das war später anders, die Beschlüsse der Mehrheit wurden verpflichtend für alle. Wenn sie Fragen der Glaubenslehre betrafen, wurden sie zum Dogma, dessen Anerkennung für jeden einzelnen unabdingbar für das ewige Heil war.
Für das erste Reichskonzil 325 war ein recht großer logistischer Aufwand nötig, um anderthalbtausend Würdenträger (jeder Bischof hatte fünf Mann Gefolge) in der kleinen Sommerresidenz Nicäa zu versammeln. Die Kosten für Transport und Herberge trug die kaiserliche Kasse – ein frühes Beispiel staatlich subventionierter Kirchentätigkeit, das dankbar angenommen wurde. Gerade für die weither Angereisten war es erfreulich, dass sie Berechtigungsscheine für den cursus publicus, das öffentliche Fernverkehrsnetz, erhielten. Denn so standen für sie an jeder Poststation Unterkunft, Mietwagen und Zugvieh zur Verfügung. Auf Befehl Konstantins nahm auch der Presbyter Arius teil, allerdings ohne Stimmrecht.
Im Kaiserpalast von Nicäa eröffnete der Kaiser im Mai 325 die Tagung¹⁰ und übernahm den Ehrenvorsitz. Sein Vertrauter, Bischof Ossius aus Córdoba, leitete die Verhandlungen. Neben 20 Canones (kirchlichen Rechtsnormen) und der Festlegung eines einheitlichen Ostertermins stand die Frage der Gottheit Christi obenan auf der Tagesordnung. Der angesehene Ossius, theologischen Spitzfindigkeiten abgeneigt, hatte vorrangig ein Anliegen: im Sinne des Kaisers den Glaubenszwist zu beenden. Das gelang zur Freude des Monarchen durch eine dehnbare Formulierung.
Die Zauberformel bezeichnete Vater und Sohn als homoúsios, übersetzt: wesensgleich, Jesus »aus dem Wesen des Vaters« gezeugt, nicht erschaffen, seit Ewigkeit unveränderlich. Ein Machtwort Konstantins »der Sohn ist eines Wesens mit dem Vater!« führte nach mehreren Wochen dazu, dass sich die Mehrheit fügte und von der großen Gruppe der Opposition letztlich nur zwei blieben, die die Unterschrift verweigerten. Bischof Eusebios unterschrieb widerstrebend den Haupttext, aber nicht die Verwerfungen des Anhangs. Arius’ Schriften wurden dem Feuer überantwortet, ihn selbst schickte der Kaiser ins Exil. Als Eusebios für den verstoßenen Arius eintrat, wurde er ebenfalls verbannt – jedoch nicht für lange. Denn nach wenigen Jahren schon erlangten die Verbannten, unterstützt durch des Kaisers Schwester Fürsprache, Gnade, wurden wieder zurückgerufen und rehabilitiert.
Mit verdoppelter Leidenschaft flammten die Streitigkeiten danach erneut auf, als hinge die Seligkeit an einem Wörtchen. Verschiedene Auslegungen des homoúsios, Intrigen, Denunziationen und Meineide bestimmten die folgende Phase des arianischen Streits. Großzügig operierte man mit dem Vorwurf der Ketzerei. Auf wechselvollen Synoden verdammte jeweils eine Mehrheit die Minderheit, bis letztere am kaiserlichen Hofe wieder einmal die Oberhand gewann. Innerhalb von zwei Jahrzehnten wurden dermaßen viele Synoden, Hin- und Herreisen der Bischöfe veranstaltet, dass das öffentliche Verkehrswesen kurz vor dem Zusammenbruch stand. Der Höhepunkt blutiger Gewalt war die Vertreibung des Erzbischofs von Alexandria, des bissigsten Gegners der Arianer, samt dessen Anhängern durch kaiserliche Militäreinheiten im Februar 356.
Konstantin war schon 337 gestorben. Entgegen seiner Absicht hinterließ er den Nachfolgern zunächst eine zerrissene, streitsüchtige Kirche. Erst nach über fünf Jahrzehnten gelangte das nicänische Symbol zum finalen Sieg.¹¹ Eine Ironie der Geschichte: Ausgerechnet von den Händen des Verlierers von Nicäa, des einst verbannten Eusebios, erhielt der Kaiser 337 das Sakrament der Taufe. Wie der Althistoriker Demandt ironisch formulierte, musste der auf dem Totenbett getaufte Kaiser auf das Jüngste Gericht nicht lange warten: »Münzen nach seinem Tode zeigen seine Himmelfahrt auf einem Viergespann, dem sich die Hand Gottes aus den Wolken entgegenstreckt.«¹²
Bündnis von Kirche und Staat
Himmelfahrt hin oder her – als Fazit seines irdischen Wirkens ist Folgendes festzustellen: Konstantin sicherte dem wankenden Imperium eine letzte Blütezeit, die man heute als christliche Spätantike bezeichnet. Das nicänische Konzil zeigte sein politisches Interesse am Kirchenfrieden. Mit Nicäa ist zugleich das Bündnis zwischen Thron und Altar markiert. Es bedeutete das Ende einer freien Kirche und den Beginn einer repressiven Orthodoxie. Denn nach diesem Konzil wurden Lehrentscheidungen der Bischöfe als kaiserliche Dekrete gegen Ketzer mit Staatsgewalt durchgesetzt.¹³ Unter Konstantins Söhnen wurden bereits heidnische Priester verfolgt, ihre Tempel zerstört oder umgewidmet. Die triumphierende Kirche vergaß, dass sie vor kurzem noch selbst verfolgt war, und gab Konstantin den Beinamen »der Große«.¹⁴ Die rechtgläubigen Kleriker konnten als von Skrupeln kaum angekränkelte Rechthaber über anderthalbtausend Jahre die Macht einer Staatskirche nutzen und genießen. Bis heute wird in Ländern Osteuropas mit orthodoxer Staatskirche die Symphonie, der Einklang von weltlicher und kirchlicher Macht, als ideales Modell betrachtet.
Konstantins Name steht für ein Zeitalter: das konstantinische. Dieser Begriff ist zugegeben unscharf. Günter Jacob, ein Kirchenmann aus der DDR, erregte 1956 Aufsehen, als er prophetisch das »Ende des konstantinischen Zeitalters« verkündete.¹⁵ Er meinte, das enge Bündnis von Kaiser und Kanzel, Thron und Altar, der Pakt zwischen Staat, Bürgertum und Bischofskirche habe den Verrat am Auftrag der Christenheit bedeutet. Diese Ära sei vorüber und damit sei der Raum eröffnet für eine freie, eine staatsfreie Gemeindekirche in der DDR. Das war verfrüht. Jacob hatte nicht mit der Rück-Wende von 1990 gerechnet, als die ostdeutschen Landeskirchen zu den Fleischtöpfen Ägyptens¹⁶ zurückkehrten. Das Rad der Geschichte lässt sich zurückdrehen. Leider.
Anmerkungen
1 Es wurde zugleich im Namen seiner Mitregenten Konstantin und Licinius erlassen; die beiden ergänzten dies 313 durch die bekanntere »Mailänder Übereinkunft«. Das Edikt gewährte den Christen Toleranz, sofern sie nichts »contra disciplinam« unternähmen. Vgl. Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. Berlin 1957, S. 91
2 Mehrere Münzen des Kaisers zeigen den Sonnengott zusammen mit dem christlichen Kreuz. Das Weihnachtsfest wurde dann exakt auf den römischen Feiertag gelegt (Wintersonnenwende), an dem man in Rom seit dem Jahr 272 den Sol invictus feierte.
3 Neonatizid (Neugeborenentötung in der Familie) galt in der griechischen und römischen Antike bis ins Jahr 318 als legales Handeln; es konnte zum Beispiel wegen Missbildung, aus Armut oder wegen Illegitimität erfolgen, vorrangig in Form der Aussetzung (»Weglegung«).
4 Zu den Privilegien dieser Großgrundbesitzer gehörte der Zugang zu den hohen Staatsämtern. »Landbesitz galt in der ganzen Antike als die einzige standesgemäße Form von Eigentum und war zugleich die sicherste Kapitalanlage«, berichtet Werner Dahlheim: Die Antike. Griechenland und Rom. Paderborn 1994, S. 523
5 In der Regel wurde ein Sklave im Alter bis 40 freigelassen, war damit aber längst nicht dem Freigeborenen (ingenuus) gleichgestellt. Näheres bei Dahlheim, ebd. S. 527
6 Jürgen Kuczynski: Gesellschaften im Untergang. Vom römischen Reich bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Berlin (DDR) 1984, S. 35
7 Arius (ca. 260–335) stammte aus einer wohlhabenden christlichen Familie in Libyen und war bereits zur Zeit der Christenverfolgung von 303 als Diakon in Alexandria tätig.
8 Vgl. Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Reiches. Köln 2006, S. 359
9 Karl Kautsky: Der Ursprung des Christentums. Eine historische Untersuchung. Nachdr. d. Ausg. v. 1908. Wien 2011, S. 360
10 Als mehrfach genanntes Eröffnungsdatum gilt der 20. Mai 325. Protokolle der Verhandlungen sind nicht überliefert, aber mehrere briefliche Berichte vom Konzil
11 Endgültig 381 in Konstantinopel, auf dem II. Ökumenischen Konzil unter Kaiser Theodosius.
12 Alexander Demandt: Durch Mord zum Heil. Constantin, der rätselhafte Autokrat, in: Johann Saltzwedel: Das Ende des Römischen Reiches. Verfall einer Weltmacht. München 2009, S. 209
13 Für die Dogmen (Lehrsätze) galt: Wer nicht daran glauben will, der muss eben dran glauben. Noch bis 1813 bedrohte in England ein Gesetz, das freilich nicht mehr angewandt wurde, die Leugnung der Trinität mit der Todesstrafe. Vgl. Heussi (Anm. 1), S. 422. Die eifernde Rechtgläubigkeit führte 700 Jahre nach Nicäa zu dem großen Ost-West-Bruch: römisch-katholische und griechisch-orthodoxe Kirche (beide auf dem Fundament des Nicänums stehend) exkommunizierten sich ab 1054 wechselseitig mit dem Bann »Anathema«
14 Allerdings: Heiliggesprochen wurde Konstantin (der »Apostelgleiche«) allein durch die orthodoxen Ostkirchen, nicht durch Rom.
15 Der Cottbuser Generalsuperintendent Jacob hielt den Vortrag auf einer gesamtdeutschen Synode in der Berliner Marienkirche. Siehe Kirchliches Jahrbuch (1956), S. 9–16
16 Biblische Metapher für ein auskömmliches Leben in Abhängigkeit, 2. Buch Mose 16,3
Das Credo von Nicäa
Wir glauben an (den) einen Gott, / den Vater und Allmächtigen, / Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren, / und an den einen Herrn Jesus Christus, / Gottes Sohn, / den aus dem Vater gezeugten Einziggeborenen, das heißt aus dem Wesen des Vaters, / Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, / gezeugt nicht erschaffen, / wesensgleich (homoúsios) mit dem Vater, (…) den um unseres Heils (Erlösung) willen Herabgekommenen und Menschgewordenen (…) Und an den Heiligen Geist.
Diejenigen aber, die sagen »es gab eine Zeit, da er nicht war« / und »bevor er geboren wurde, war er nicht« / oder er sei aus dem Nichts entstanden / oder von anderer Substanz oder Wesenheit (…), / die belegt die katholische Kirche mit dem Anathema (= Kirchenbann, Ausschluss).
Christian Stappenbeck schrieb an dieser Stelle zuletzt am 29. März 2025 über die sowjetische Besatzung Ungarns und Befreiung vom Faschismus: »Der gestrichene Feiertag«.
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