Ein Leben für die Freiheit
Von Edgar Göll
Am 19. Mai vor 100 Jahren wurde in Omaha, dem provinziellen Nebraska, in den USA Malcolm Little als viertes von sieben Kindern eines armen Haushalts geboren. Der Junge erlebte wie auch seine Eltern alle Formen von Rassismus, egal, wohin sie auch zogen. Trotz bester Noten durfte er nicht studieren. Die USA boten ihm keine Chance für ein menschenwürdiges Leben. Wie viele andere junge Männer wählte er angesichts dieser Chancenlosigkeit und Unterdrückung den Weg der Kriminalität und Regelbrüche. In seinen darauffolgenden Gefängnisaufenthalten las er sehr viel, diskutierte häufig, befasste sich mit dem Islam und wurde schließlich wie auch seine Brüder Mitglied der »Nation of Islam« (NoI). Er wurde zu einem maßgeblichen Wortführer dieser sektenähnlichen Gemeinschaft und war dann auch einer der radikalen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Dabei kritisierte er die reformistische, friedliche Strategie des Pastors Martin Luther King scharf.
In der breiten weißen Öffentlichkeit, die die herrschende rassistische Politik unterstützte, wurde er als gefährlicher Hassprediger und sogar Terrorist angeprangert, und es wurde gegen ihn gehetzt. Seine unbequemen Wahrheiten passten nicht in das eitle Selbstbild und zum ignoranten und arroganten Habitus der Supermachtbürger. Dies bestätigte seine Weltsicht und stachelte ihn nur noch weiter an. Als nationaler Sprecher der NoI kritisierte Malcolm X sowohl die brutalen als auch subtilen Seiten des Rassismus der weißen Gesellschaft, die er und seinesgleichen alltäglich erlitten, schonungslos und zugespitzt. Die Weißen seien »Teufel«, weil sie jederzeit als solche handelten. Sie lynchten Schwarze und predigten den Schwarzen gegenüber »Gewaltlosigkeit«. Sie gäben ihnen die miesesten Jobs und erklärten, Schwarze taugten zu nichts anderem. Sie verhinderten die Bildung der Afroamerikaner und nahmen an deren Analphabetismus Anstoß. Sie redeten liberal und handelten rassistisch. Und immer wieder zeigte er die zentrale Rolle der Versklavung der Afrikaner in der US-Geschichte auf.
Treffen mit Castro
Sein permanenter Lern- und Bewusstseinsprozess führte ihn zu einer Haltung des Antiimperialismus und Internationalismus; er verstand, dass die USA innen- und außenpolitisch jedwede Alternativen bekämpfen und zu vernichten suchen. Eine außerordentliche Begegnung in seinem Leben sei hier erwähnt. Malcolm X traf am 19. September 1960 den Comandante en Jefe der Kubanischen Revolution, Fidel Castro, und seine Delegation aus Kuba. Sie nahmen an der Generalversammlung der UNO teil. Malcolm bot Fidel und seiner Delegation eine Unterkunft an. Vorher hatte der kubanische Revolutionär beschlossen, außerhalb des UN-Gebäudes zu kampieren, nachdem ihm in den Hotels von New York eine Unterkunft verweigert worden war. Das einzige für ihn zugängliche Hotel, wo er unter erniedrigenden Bedingungen Unterkunft fand, war dann das »Hotel Theresa« im Stadtviertel Harlem. Und dort traf sich Malcolm in einem der Zimmer im neunten Stock mit Fidel.
Die Einladung und die Solidarität markierten das außergewöhnliche Treffen zwischen den beiden Persönlichkeiten, die, wie Fidel sagte, die gleiche Grundhaltung vereinte: »Wir kämpfen für die Unterdrückten.« Sie debattierten ungezwungen und lebendig über Politik und Philosophie. Dabei ging es auch um das Recht der Afroamerikaner, nicht wie Sklaven oder minderwertige Wesen behandelt zu werden, und um das Recht der Kubaner, ohne Einmischung der Yankees über ihre Zukunft selbst zu bestimmen. »Solange Uncle Sam gegen Sie ist, wissen Sie, dass Sie ein guter Mann sind«, ermutigte Malcolm X Fidel Castro. Worauf der Comandante antwortete: »Nicht Uncle Sam, sondern diejenigen, die hier die Zeitschriften und Zeitungen kontrollieren …«
Die radikale Tätigkeit von Malcolm X förderte die Entwicklung des Selbstbewusstseins der Afroamerikaner in besonderem Maße. Seine Vorträge sind legendär, in denen er unter anderem die Frage der Anwendung von Gewalt erörterte. In der Rede »The Ballot or the Bullett«, also Wahlzettel oder Kugel, sagte er im April 1964, dass eine Bewaffnung unvermeidbar werden könnte, wenn die Afroamerikaner nicht die vollen Bürgerrechte bekämen. Aufgrund der Unterdrückung und der strukturellen Gewalt sei es erforderlich, das System »mit allen notwendigen Mitteln« zu bekämpfen und zu verändern. Die Hetze gegen ihn nahm weiter zu.
Dann leitete, kurz nachdem er mit der NoI offiziell gebrochen hatte, ohne sich jedoch vom Islam loszusagen, im April 1964 eine Pilgerreise nach Mekka die letzte Lebens- und Schaffensphase von Malcolm X ein. Denn er erlebte dort eindrucksvoll, dass Menschen völlig unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft brüderlich miteinander umgehen und friedlich leben können. Er nannte sich hernach El Hajj Malik El-Shabazz, der Name Malcolm X wurde aber weithin beibehalten.
Im Anschluss daran reiste er mehrere Wochen durch Ägypten, Gaza und afrikanische Staaten. Dort erkannte er, dass es zwischen dem Befreiungskampf in Afrika gegen die weiße Kolonialherrschaft und den Kämpfen der Afroamerikaner gegen die weiße Vorherrschaft in den USA Ähnlichkeiten gibt. Immer mehr wurden ihm die Zusammenhänge von Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung klar. Seine analytische Schärfe und sein wachsendes Verständnis der gemeinsamen Kämpfe und des erforderlichen Internationalismus und Antiimperialismus machten ihn für die herrschende Klasse insbesondere in den USA zu einer gefährlichen Bedrohung.
Und schließlich, bei einem Vortrag in Harlem in New York City, wurde Malcolm X (der nach einem Brandanschlag und Morddrohungen unter Polizeischutz stand) am 21. Februar 1965 von drei Tätern mit einer abgesägten Schrotflinte und Pistolen durch 21 Schüsse getötet. Von seiten der Polizei wurde schnell verlautbart, es sei ein Attentat wegen Auseinandersetzungen zwischen zwei radikalen Gruppen gewesen. Zahlreiche Ungereimtheiten deuten jedoch darauf hin, dass Polizei und FBI den Mord hätten verhindern können und dies nicht taten, sondern ihn bewusst geschehen ließen. Der afroamerikanische Autor James Baldwin schrieb dazu: »Wer immer es getan hat, wurde im Brennofen der westlichen Welt, der amerikanischen Republik, geformt.« Der Mord an Malcolm reiht sich ein in Dutzende andere Tötungen in der blutigen politischen Geschichte der USA – innerhalb, aber auch außerhalb des Landes. Unterdessen gehen Internationalismus und Antiimperialismus weiter.
Anlässlich des 100. Geburtstages von Malcolm X fanden und finden zahlreiche Veranstaltungen statt: in seiner Geburtsstadt Omaha in Nebraska sowie vor allem in New York, Washington, D. C. und an verschiedenen Universitäten, aber auch in anderen Staaten wie etwa Grenada und Nigeria. Darüber hinaus wurde am Montag eine »MX 100 Worldwide Virtual Celebration« begangen. Besonders aktiv ist das nach Malcolm X benannte Shabazz Center in New York, das sein Leben und Wirken für die Nachwelt lebendig hält.
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