»Atmosphäre der Angst«
Von Gisela Sonnenburg
Im Ballett wurde das Prinzip der Revolution nicht erfunden. Gehorsam und Disziplin, Respekt vor der Obrigkeit und eine Hingabe, die manchmal an Selbstaufgabe grenzt, bestimmen das tägliche Geschäft im Tanzstudio. Aber zur Zeit sind alle goldenen Regeln außer Kraft: Das Hamburg Ballett bzw. die Mehrheit seiner Tänzer begehrt auf – und stemmt sich gegen den neuen Intendanten, den Deutsch-Argentinier Demis Volpi (40).
Ein offener Brief an den örtlichen Kultursenator Carsten Brosda (SPD) wurde unter der Ägide des Ballettstars Alexandr Trusch von 36 Tänzerinnen und Tänzern unterschrieben. Demnach wird das Potential der Truppe von Volpi und seinem Stab »grundsätzlich verkannt«, »weder einzelne noch die gesamte Kompanie« würden gefördert, »schlechte Kommunikation« und »eine oft abschätzige Haltung« führten zu einem »toxischen Arbeitsklima«.
Vorausgegangen war diesem Protest die freiwillige Kündigung vier männlicher Erster Solisten und die einer Primaballerina (jW berichtete). Die Protestierenden bekommen unverhofft Unterstützung, und zwar aus Nordrhein-Westfalen. Denn am Ballett am Rhein, wo Demis Volpi vier Jahre lang Ballettdirektor gewesen war, bevor er im Sommer vergangenen Jahres dem Ruf nach Hamburg folgte, litten die Untergebenen an ähnlichen Strickfehlern im Führungsgefüge.
17 derzeitige und ehemalige Tänzerinnen und Tänzer aus Düsseldorf unterschrieben einen Brief der Solidarität mit den Hamburgern. Inhalt: Auch in Düsseldorf und Duisburg, den beiden Wirkungsstätten vom Ballett am Rhein, sei unter Volpi eine »Atmosphäre der Angst« geschürt worden, für viele Künstler mit »traumatischen« Folgen.
Auch in Nordrhein-Westfalen sind Tänzer deshalb vor Vertragsablauf abgewandert. Obwohl der harte Arbeitsmarkt im Ballett gerade nicht zu solchen Schritten einlädt. Auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Deutschen Oper am Rhein, René Lozynski, bricht sein Schweigen: »Wir hatten vier intensive Jahre mit Volpi, und mein Schreibtisch war voll mit Beschwerden über ihn.«
Nach allem, was bekannt ist, hat Demis Volpi zwei Seiten: Nach außen gibt er den unkomplizierten, charmanten, souveränen Ballettchef. Seine Mission: möglichst viele verschiedene choreographische Handschriften der Gegenwart zu zeigen. Doch hinter dem produktiven Führungsprofil scheint übertriebenes Machtgehabe zu stecken. »Es fiel auch schon das Wort ›Soziopath‹, um Demis Volpi einzuschätzen«, so Lozynski. Als Vorsitzender der Bühnenkonferenz, die sich als Vertretung der Beschäftigten vieler großer Theater in Deutschland und Österreich versteht, hört er öfters von Problemen mit Direktoren und Intendanten. Eine solche Häufung und breite Streuung der Vorwürfe seien selten.
Der Zorn richtet sich nicht allein gegen Volpi. Auch sein langjähriger Mitarbeiter Damiano Pettenella, den Volpi in Hamburg zum Ersten Ballettmeister kürte, soll im Umgang teilweise äußerst unangenehm sein. Hinzu kommt, dass die beiden mit Futaba Ishizaki eine eher mittelmäßig Begabte zur Solistin aufbauten. Hintergrund: Ishizaki ist die private Partnerin von Pettenella.
Die Hamburger Kulturbehörde sitzt nun vor einem Scherbenhaufen. Bis zuletzt versuchte man, Volpis Wirken als »erfolgreich« zu feiern. Aber Auslastungszahlen allein sind eben nicht ausschlaggebend. Zumal es sich bei den ausverkauften Vorstellungen meist um Werke von John Neumeier, dem Vorgänger von Volpi in Hamburg, handelt. Neumeier baute in 51 Jahren ein Ensemble von Weltruhm auf. In Hamburg bangt man jetzt um diesen Schatz.
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