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Aus: Ausgabe vom 16.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Systemsprenger

Deutsch-britische Waffenentwicklung
Von Arnold Schölzel
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Boris Pistorius und John Healey am 25. November 2024 in Berlin

Die USA begleiteten die NATO-Osterweiterung mit der Zerstörung des Systems internationaler Sicherheit. Sie kündigten bis auf einen alle Abrüstungs- und Rüstungskon­trollverträge mit der Sowjetunion beziehungsweise Russland und stellten neue Raketensysteme unweit der russischen Grenzen in Polen und Rumänien auf. Vorläufiger Höhepunkt der jahrzehntelangen Militärexpansion ist neben dem NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine die ab 2016 geplante Stationierung »weitreichender Waffensysteme in Deutschland«, die in einer dürren Erklärung am 10. Juli 2024 in Washington beim NATO-Gipfel angekündigt wurde. Erstmals seit Inkrafttreten des INF-Vertrages von 1987, der eine Kategorie von Mittelstreckenraketen verbot, aber 2019 von Donald Trump gekündigt wurde, wären damit Ziele auf russischem Territorium von Deutschland aus erreichbar. Es wird damit zur Zielscheibe russischer Schläge.

Ebenfalls am Rande des NATO-Gipfels unterzeichneten die Verteidigungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Polens eine Absichtserklärung für ein gemeinsames Mittelstreckenraketenprogramm. Das sei, wurde der Verteidigungsausschuss des Bundestages am 19. Juli 2024 informiert, eine »komplementäre Initiative« zur Stationierung der US-Raketen. Dem folgte am 24. Juli 2024 eine deutsch-britische Ankündigung, gemeinsam Langstreckenraketen zu entwickeln. Da war die Labour-Regierung zwei Wochen im Amt. Am 23. Oktober wurde das in der »Trinity-Haus-Vereinbarung« zum Vertrag sowie u. a.: Rheinmetall baut mit an einem neuen britischen Werk für Artillerierohre, deutsche U-Bootjagdflugzeuge werden in Schottland stationiert. Am Donnerstag meldeten nun Pistorius und sein Londoner Amtskollege John Healey Vollzug: Mehr als 2.000 Kilometer soll die gemeinsame Rakete fliegen können.

Das ist einen Tag nach der Merz-Festlegung, die Bundeswehr werde »konventionell stärkste Armee in Europa«, eine Klarstellung: Die Reste des internationalen Sicherheitssystems sollen so schnell wie möglich gesprengt werden. China und Russland sehen das jedenfalls so, wie aus ihrer gemeinsamen Erklärung zur globalen Stabilität vom 8. Mai hervorgeht: Die Stationierung von bodengestützten Raketen »mit kurzer Flugzeit zu einer Vielzahl von Zielen auf dem Territorium anderer Kernwaffenstaaten« sowie die beschleunigte Entwicklung von Langstreckenraketensystemen betrachten sie als »provokative Aktionen«, die »die globale Sicherheit untergraben«.

Das ist selbstverständlich eine falsche Sicht. Leute wie Pistorius und Healey schießen stets nur zurück.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Mai 2025 um 09:30 Uhr)
    Solange die Sowjetunion sich durch ihre sozialistische und kommunistische Ideologie zum weltweiten Export dieser Ideen verpflichtet fühlte, war es für mich nachvollziehbar, warum der sogenannte »Wertewesten« sie bekämpfte. Doch seitdem Russland ebenfalls ein kapitalistisches System verfolgt – wozu dient dann noch die gegenseitige, potenziell vernichtende Bedrohung? Warum nicht stattdessen gleichberechtigter Handel? Das ist die zentrale Frage, die beantwortet werden muss: Warum setzt der Westen weiterhin auf militärische Drohungen anstatt auf faire Partnerschaft? Vielleicht liegt es daran, dass der sogenannte »Wertewesten« keine echte Demokratie praktiziert, sondern nur eine Fassade aufrechterhält – und in Wahrheit imperialistische Ziele verfolgt?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (16. Mai 2025 um 10:24 Uhr)
      Sie rätseln, warum Russland bekämpft wird, wo doch nicht mehr sozialistisch ist. Wenn der Sozialismus der Grund für die Kriege wäre, hätte es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben.
  • Leserbrief von AG (16. Mai 2025 um 00:55 Uhr)
    Erwähnt sei noch die technische Unzulänglichkeit der US/NATO-Waffeninitiativen. Angst machen diese Systeme nicht den Russen, sondern schüren Kriegsängste bei der eigenen Bevölkerung. Die soll zitternd ihrer Enteignung via Rüstung zustimmen. Die Paranoia lähmt die kognitiven Fähigkeiten, zu erkennen, wer hier wirklich wem wie Schaden zufügen will. Man stelle sich vor, es gäbe den Russen nicht. Merz und Co. säßen ziemlich in der Tinte. Nur zum Einstieg: Die Sentinel, der geplante Nachfolger für die Minuteman, steht vor großen Problemen. Zuletzt wurde berichtet, die 400 alten Atomsilos, die der neuen Atomrakete dienen sollten, sind inkompatibel. Kosten steigen nun auf 141 Mill. US-Dollar. Ausliefertermin wird erneut verschoben. Gleiches Problem mit dem neuen Atom-U-Boot Columbia Class. Auch hier tauchen immer neue technische Mängel auf, die die Lieferung verzögern und den Stückpreis nach oben treiben. Zur Zeit 12 Mill. US-Dollar. Das erinnert alles fatal an Boeing. Und wie steht es um Dark Eagle/LRHW? Laut neuestem Congress-Bericht Ende April steht eine Beurteilung noch aus. Kann also sein, dass das Ding erneut für ungeeignet erklärt wird. Selbst National Interest schrieb 13.5.: »Americans are woefully behind their Russian and Chinese rivals in terms of creating working arsenals of these weapons.« So beginnt der Niedergang eines Hegemons. Dass man dennoch versucht Erfolgsmeldungen zu fabrizieren gehört zum Wesen des MIC, wie die Bereicherung der Rüstungsfirmen auf Kosten der Bevölkerung. Nicht schwer zu extrapolieren was das heißt für die europäischen Raketenpläne. Vielleicht sollte die Zivilgesellschaft sich mal auf die Hinterbeine stellen und aggressiv Rechenschaftspflicht der Regierung und der Geheimdienste einfordern: Wo sind die Beweise für ihre hanebüchenen Behauptungen bzgl. russischer Aggression?! Wenn alle Macht vom Volk ausgeht, dann sollte das zutreffen, vor allem in Fragen von Krieg und Frieden, dann, wenn jenes Volk sich auf die Schlachtbank führen lassen soll.

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