Profitgier am Pranger
Von Gert Hautsch
Die strapazierte Belegschaft treibt es auf die Straße. Der weltweit größte Hersteller von Nahrungsmitteln, die Nestlé S. A., gehört in Deutschland zu den rabiatesten Arbeitsplatzvernichtern. Demnächst sollen zwei weitere Standorte – Maggi in Conow und Thomy in Neuss – mit insgesamt mehr als 230 Beschäftigten verkauft oder liquidiert werden. Dagegen hat die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) vor der Deutschland-Zentrale in Frankfurt am Main am Mittwoch eine Protestkundgebung organisiert. Das Motto der Gewerkschaft: »Gegen die Profitgier des Nestlé-Konzerns – Missmanagement vernichtet Arbeitsplätze!« Die Parole der laut NGG rund 300 Demonstranten: »Scheiß auf Dividende, wir kämpfen bis zum Ende.«
In den vergangenen zehn Jahren hat der Konzern nach Berechnungen des Gesamtbetriebsrats die Belegschaft hierzulande auf rund 6.500 fast halbiert; neun Werke sind geschlossen oder »abgegeben« worden. Den Behauptungen der Bosse zufolge sind höhere Kosten und eine »gestiegene Preissensibilität« bei der Kundschaft die Ursache für eine schwächere Nachfrage, und die habe zu Überkapazitäten geführt. Tim Lubecki, Leiter der Tarifabteilung der NGG, ließ diese Argumente nicht gelten. In Wirklichkeit seien es die überzogenen Profiterwartungen des Managements und der Eigentümer, die zu Betriebsschließungen führen, so Lubecki auf der Kundgebung. Die beiden Standorte, von denen sich Nestlé »trennen« will, arbeiteten profitabel – aber wohl nicht profitabel genug.
Andreas Zorn, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Nestlé Deutschland, bestätigte am Mittwoch die Vorwürfe: Die Margenerwartungen des Mutterkonzerns lägen heute bei 20 Prozent, vor etwa 30 Jahren seien es noch zehn Prozent gewesen. Deshalb seien schon in der Vergangenheit massenhaft Arbeitsplätze nach Ost- und Südosteuropa verschoben worden, wo die Stundenlöhne teils nur ein Viertel des hiesigen Tarifniveaus ausmachten. Im vergangenen Jahr sei ein neues Werk in Serbien mit 220 Arbeitsplätzen in Betrieb genommen worden. Ein Ende dieser Politik sei nicht absehbar.
Von »Missmanagement« – wie von der Gewerkschaft beanstandet – kann folgerichtig nicht die Rede sein. Die Manager in der Schweizer und der deutschen Nestlé-Zentrale setzen das um, wofür sie bezahlt werden: Sie kümmern sich um den größtmöglichen Profit. Wenn dabei Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, mag das zwar bedauerlich sein, lässt sich aber nicht ändern.
Zorn und Lubecki bedankten sich auch für die Solidaritätsbekundungen für die Belegschaften. Die kamen nicht nur von Philipp Jacks, dem Vorsitzenden des DGB Frankfurt-Rhein-Main, und von Michael Erhardt, erster Bevollmächtigter der IG Metall Frankfurt – auch aus der nahegelegenen IG-Metall-Zentrale waren Kolleginnen und Kollegen zur Kundgebung erschienen. Weitere Unterstützung kam aus dem Ausland: Die französische Schwestergewerkschaft FNAF erklärte in einer Grußadresse: »Die Kämpfe, die unsere Genossen bei Nestlé in Frankreich führen, um ihre Forderungen zu verteidigen, sind Teil dieser Solidarität mit euch. Gemeinsam bekräftigen wir: Alle Arbeitsplätze erhalten! Stoppt die Zerstörung der Fabriken!«
Aus den Büros der Nestlé-Konzernverwaltung drang indes keine Reaktion nach draußen, an den Fenstern allerdings waren viele interessierte Gesichter zu erkennen. Etliche Beschäftigte waren auch nach unten gekommen und stellten sich zu ihren Kolleginnen und Kollegen. Die Unternehmensleitung zeigte erwartungsgemäß kein Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaft. Nicht leichtgefallen seien ihnen die Entscheidungen zu den beiden Werken in Conow und Neuss, unvermeidlich seien sie aber gewesen, ließ eine Sprecherin des Unternehmens den Demonstranten ausrichten. Nestlé werde gleichwohl auch künftig in Deutschland produzieren.
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