AfD durchweg völkisch
Von Kristian Stemmler
Der Inlandsgeheimdienst kam seinem Auftrag mit Verzögerung nach, verpflichtete sich sogleich gegenüber der AfD zum Stillhalten. Davon unbeeindruckt hält die Debatte um ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Rechtsaußenpartei an. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schaltete sich nun persönlich ein – und äußerte sich »sehr skeptisch«. Er habe sich immer dagegen gewehrt, aus der Mitte des Bundestages heraus Verbotsverfahren zu betreiben, sagte er dem Wochenblatt Zeit (Donnerstag). Das rieche ihm »zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung«.
Der CDU-Politiker kritisierte den Umgang seiner Vorgänger von der Ampelkoalition mit der mehr als 1.000 Seiten langen Materialsammlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Da sei »ohne sachliche Prüfung« ein Bericht präsentiert worden, sagte Merz dem Blatt. Den Inhalt des Gutachtens kenne er nicht und wolle ihn auch nicht kennenlernen, »bevor nicht das Bundesinnenministerium daraus eine Bewertung abgeleitet hat«.
Skeptisch äußerte sich zuvor auf unterer Ebene auch Felor Badenberg (CDU), Berlins Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz und bis 2023 BfV-Vizepräsidentin. Sie glaube nicht, dass ein Verbot der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte, sagte Badenberg laut Tagesspiegel am Dienstag abend bei einer Veranstaltung an der Freien Universität.
Bisher waren von dem sogenannten Gutachten nur Auszüge bekannt, seit Dienstag abend liegt das gesamte als Verschlusssache deklarierte Dokument vor. Das rechtsliberale Magazin Cicero veröffentlichte es bzw. bot Abonnenten exklusiven Zugang. Basierend auf dem darin gesammelten Material erfolgte die Anfang Mai vom Inlandsgeheimdienst vorgenommene Neubewertung der Partei als »gesichert rechtsextremistisch«. Das Papier soll aufzeigen, wie die AfD in den vergangenen Jahren ihr Auftreten und ihre Äußerungen immer weiter nach rechts entwickelte und sich mit anderen rechten Organisationen vernetzt hat.
Geheimdienstliche Mittel wurden bei der Erstellung des Gutachtens offenbar nicht eingesetzt. Es stützt sich auf öffentlich zugängliche Quellen. Für seine Einschätzung der AfD hat das BfV Äußerungen von 353 Personen aus der Partei und ihrem Umfeld aufgeführt. Ferner ausgewertet soziale Medien, Parteiprogramme und Grundsatzpapiere. Wenig überraschend ist der formal dem Innenministerium unterstellte Geheimdienst bei dieser Fleißarbeit auf die bekannten rechten Narrative gestoßen.
Zentrales Argument für die Hochstufung der AfD ist demnach ihr »ethnisch-abstammungsmäßiges« Volksverständnis, das mit der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« unvereinbar sei. So diskriminiere die Partei Deutsche mit Migrationsgeschichte, spreche von »Überfremdung«, »Invasoren« und einer »arabisch-muslimischen Landnahme«. Es werde suggeriert, dass das ethnisch homogene deutsche Volk durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen drohe und in seiner Existenz gefährdet sei.
Das Gutachten macht drei Entwicklungslinien aus. Erstens sei eine »Popularisierung« der AfD festzustellen. Das könne an den Wahlergebnissen und der Mitgliederentwicklung seit 2022 abgelesen werden. Zweitens wird eine »Professionalisierung« konstatiert, etwa beim Austragen innerparteilicher Konflikte. Schließlich habe eine »fortschreitende ideologische Homogenisierung der Partei« stattgefunden. Zentrale Personen aus dem 2020 formal aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel« hätten erheblichen Einfluss. Vor allem der Thüringer Partei- und Landtagsfraktionschef Björn Höcke habe seine Position ausbauen können und bestimme maßgeblich die Ausrichtung der Partei.
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