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Aus: Ausgabe vom 16.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
US-Einfluss schwindet

Beijing gewinnt an Boden

China-CELAC-Gipfel: Lateinamerikanische Staaten suchen nach Alternativen zu USA. Xi verspricht mehr Engagement
Von Frederic Schnatterer
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Neue Allianzen: Lateinamerikanische Staatschefs wollen Beziehung auf Augenhöhe mit China (Beijing, 13.5.2025)

Die Abhängigkeit Lateinamerikas von den Vereinigten Staaten ist nicht alternativlos. Das ist das Signal, das vom Treffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) mit China in Beijing am Dienstag ausgeht. Längst steigt die Bedeutung von Akteuren aus anderen Weltregionen für die CELAC-Länder, gerade als Handelspartner. Der Kurs der US-Regierung unter Präsident Donald Trump gegenüber Lateinamerika scheint diese Entwicklung nun noch zu beschleunigen.

Für China bedeutete das Treffen einen Erfolg. Inmitten des Zollkrieges mit der US-Regierung machte Beijing einmal mehr deutlich, dass das Interesse an einer Vertiefung der Beziehungen zur Volksrepublik in vielen Teilen der Welt groß ist. In seiner Rede zur Eröffnung des Treffens streckte der chinesische Präsident Xi Jinping den lateinamerikanischen Ländern die symbolische Hand aus. Den 33 CELAC-Staaten bot er an, »im Angesicht der geopolitischen Turbulenzen« und des »zunehmenden Gegenwinds aus Unilateralismus und Protektionismus« zusammenzuarbeiten. China und die Länder Lateinamerikas und der Karibik seien »wichtige Mitglieder des globalen Südens«, so Xi weiter. »Unabhängigkeit ist unsere ruhmreiche Tradition, Entwicklung und Wiederbelebung sind unser natürliches Recht und Fairness und Gerechtigkeit unser gemeinsames Streben.«

Vor zehn Jahren kamen die Außenminister der teilnehmenden Länder zum ersten Mal zum CELAC-China-Forum zusammen. Dass das Treffen in diesem Jahr, insgesamt das vierte seiner Art, von besonderer Bedeutung war, zeigte nicht nur die Teilnahme von Staatschef Xi. Mit Luiz Inácio Lula da Silva aus Brasilien, Gabriel Boric aus Chile und Gustavo Petro aus Kolumbien waren gleich drei dem linken Lager zugerechnete Präsidenten aus Südamerika nach Beijing gereist.

Petro, der derzeit den Vorsitz der CELAC-Staatengemeinschaft innehat, erklärte in seiner Rede, die Menschheit stehe vor dem Dilemma »kooperieren oder untergehen«. Die Welt, so Petro weiter, sei von »Fragmentierung, geopolitischen Spannungen, Kriegen, Umweltzerstörung und Ungleichheit geprägt«. Angesichts dessen wolle die CELAC mit allen sprechen – »horizontal, nicht vertikal«, und »frei von Autoritarismus und Imperialismus«. Der chilenische Präsident Boric sagte, dass es »jetzt an der Zeit ist, einen qualitativen Sprung in den Wirtschaftsbeziehungen mit China zu machen«. Dabei sei jedoch von grundlegender Bedeutung, »dass die Grundsätze des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der Besonderheiten jeder Nation und ihrer Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleiben«, betonte er.

In den vergangenen Jahrzehnten hat China als Handelspartner Lateinamerikas stetig aufgeholt. Heute steht die Wirtschaftsmacht an zweiter Stelle hinter den USA. Für so bedeutende Volkswirtschaften wie Brasilien, Chile, Uruguay oder Peru ist die Volksrepublik bereits der wichtigste Partner. Dabei betrug das Handelsvolumen im vergangenen Jahr das erste Mal mehr als 500 Milliarden US-Dollar – rund 40mal mehr als noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommen allein bis 2023 Hunderte chinesische Infrastrukturprojekte, die teils gigantische Dimensionen haben. So eröffnete die Volksrepublik im vergangenen Jahr den Megahafen Chancay in Peru, über den künftig ein großer Teil des Handels zwischen Südamerika und China mit geringeren Transportzeiten abgewickelt werden soll.

In Beijing sagte Xi am Dienstag nun eine neue Kreditlinie in Höhe von rund 8,25 Milliarden Euro zu – etwa die Hälfte der Zusagen von vor zehn Jahren. Zudem versprach er, die Importe aus der Region zu erhöhen, und versicherte, dass China seine Unternehmen zu mehr Investitionen ermutigen werde. Kolumbiens Außenministerin Laura Sarabia betonte: »Wir müssen die Diversifizierung der Märkte angehen. Heute senden wir von Beijing aus die Botschaft an die Welt, dass wir Schwesterregionen sind.«

Gleichzeitig warnten Vertreter der CELAC davor, die Abhängigkeit von den USA einfach gegen eine von China einzutauschen. So sagte der chilenische Präsident Boric, für seine Regierung bedeute Souveränität die »freie Entscheidung darüber, mit wem und wann wir Handel betreiben möchten«. »Wir wollen uns nicht für den einen oder den anderen entscheiden müssen.« Brasiliens Lula betonte, das »Schicksal Lateinamerikas« hänge »nicht von Präsident Xi Jinping ab, es hängt nicht von den Vereinigten Staaten ab, es hängt nicht von der Europäischen Union ab. Es hängt einzig und allein davon ab, ob wir groß sein oder klein bleiben wollen.«

Brasilien, das gemeinsam mit China Teil der BRICS-Staatengruppe ist, ist der wichtigste Partner der Volksrepublik in Lateinamerika. Knapp die Hälfte der Waren im Wert von 240 Milliarden US-Dollar, die China im vergangenen Jahr von den CELAC-Ländern gekauft hat, kam aus der größten Volkswirtschaft Südamerikas. Um die Handelsbeziehungen noch weiter auszubauen, unterzeichneten Lula und Xi am Rande des Gipfels mehrere Abkommen in den Bereichen Landwirtschaft, Kernenergie und technische Zusammenarbeit in Höhe von fast fünf Milliarden US-Dollar.

Hintergrund: Neuauflage der Monroe-Doktrin

Begraben war sie nie. Doch so offensiv vorgetragen wie seit dem zweiten Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump Ende Januar wurde die sogenannte Monroe-Doktrin schon lange nicht mehr. Nur wenige Tage nach seiner Ernennung als neuer US-Außenminister erklärte Marco Rubio, die Regierung in Washington werde »unsere Region, die Amerikas, an erste Stelle setzen«.

Vor mehr als 200 Jahren hatte der damalige US-Präsident James Monroe die Parole »Amerika den Amerikanern« ausgegeben. Der Doppelkontinent sollte alleinige Einflusssphäre der USA sein – ohne die europäischen Kolonialmächte. Die Doktrin setzte Washington unzählige Male in die Tat um: Unliebsame Regierungen im »Hinterhof« wurden mit Hilfe von Militärinterventionen aus dem Weg geräumt. Auch weniger rabiate Mittel wie der Unterhalt zahlreicher Armeestützpunkte in der Region, wirtschaftlicher Druck und Knebelkredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank dienen der Durchsetzung der US-Interessen.

Mittlerweile richtet sich die Monroe-Doktrin in erster Linie gegen die Aktivitäten Chinas in Lateinamerika. Bereits 2022 definierte die damalige Regierung unter Joe Biden in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie die Volksrepublik als Hauptrivalen. Ziel der US-Außenpolitik müsse sein, »eine effektive demokratische Regierungsführung zu unterstützen und die Region gegen Einmischung oder Zwang von außen, auch durch die Volksrepublik China, Russland oder den Iran, (zu) schützen«.

In ihrem Strategiepapier »Den Neuen Kalten Krieg gewinnen: Ein Plan zur Bekämpfung Chinas« skizzierte der ultrarechte Thinktank Heritage Foundation, der aufs engste mit der Trump-Regierung verbunden ist, bereits 2023 eine aus seiner Sicht wünschenswerte US-Außenpolitik. Linke Regierungen in Lateinamerika und Zusammenschlüsse wie das São-Paulo-Forum werden darin bezichtigt, »die Region für China zu öffnen«.

In einem Gastbeitrag in der Washington Post schrieb Rubio kurz nach Amtsantritt: »Aus einer Reihe von Gründen hat sich die US-Außenpolitik lange Zeit auf andere Regionen konzentriert und dabei unsere eigene übersehen.« Damit sei »jetzt Schluss«. Dass es die Trump-Regierung ernst meint, machte sie sofort deutlich. Davon zeugen die Annexionsphantasien gegenüber Grönland und Kanada, die – letztlich mit dem Gewinn der Kontrolle über den Kanal erfolgreiche – Invasionsdrohung gegen Panama, die Verhängung hoher Zölle gegen lateinamerikanische Staaten oder der Eskalationskurs gegen unliebsame Regierungen wie die Kubas oder Venezuelas. Dass die US-Regierung mit ihrem Kurs erfolgreich sein wird, ist jedoch mindestens fraglich. China lässt sich in der Region nicht mehr so einfach zurückdrängen. (fres)

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