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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Laienspiel im Kanzleramt

Christiane Schenderlein ist als Staatsministerin für Sportpolitik und Ehrenamt die erste ihrer Art – und das Gegenteil einer Expertin
Von Andreas Müller
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Soll einfach mal machen – aber was? Sportstaatsministerin Christiane Schenderlein (CDU)

Zunächst fragte man sich, ob Christiane Schenderlein (CDU) in der neugeschaffenen Position der »Staatsministerin für Sportpolitik und Ehrenamt« im Bundeskanzleramt ihre Themen als Solistin bespielen solle. Doch mit dem Organisationserlass von Kanzler Friedrich Merz kurz nach dem Ablegen seines Amtseids am 6. Mai war klar: Der Frau aus Leipzig wird das gesamte Spitzensportpersonal aus dem bis dato für das Thema zuständigen Bundesministerium des Innern (BMI) zugeordnet. Die knapp 70 Fachleute folgen fortan der ersten Staatsministerin ihrer Art, die in Sachen Sport freilich alles andere als eine Expertin ist. Jeder frisch eingeschriebene Student an der Deutschen Sporthochschule in Köln, jeder Erstsemester an der Kölner Trainerakademie dürft mehr übers hochkomplexe Metier wissen.

Die 43jährige CDU-Politikerin war seit 2009 rund zehn Jahre beruflich hauptsächlich in diversen Abgeordnetenbüros tätig, bis sie ihrerseits zum Zug kam: 2019 schaffte sie es in den sächsischen Landtag, zwei Jahre später über die sächsische Landesliste in den Bundestag. Obwohl sie nun ohne nennenswerte Vorkenntnisse zur »Cheflobbyistin« des Sports avanciert ist, kommentierten viele Medien die Personalie, als sei sie eine Koryphäe. Ihr »unverstellter Blick« auf den Sport könne zum Vorteil gereichen, man solle sie nicht wegen Unkenntnis vorverurteilen, sie habe immerhin Kommunikationstalent, man solle sie erst mal machen lassen … Ein Analphabet, der gerade Bildungsminister geworden ist, hätte nicht verständnisvoller behandelt werden können.

Mit diesem Laienspiel im Kanzleramt wird der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit seinen über 28 Millionen Mitgliedern gleich doppelt düpiert. Nicht nur sachlich-fachlich. Zugleich werden mit der offiziellen Bezeichnung »Staatsministerin für Sportpolitik und Ehrenamt« falsche Erwartungen geweckt. Ihre Visitenkarte gaukelt vor, Schenderlein werde sich zugleich um die Interessen der Millionen Ehrenamtlichen bei den rund 87.000 Sportvereinen und deren Interessen kümmern. Dabei ist der Breitensport im deutschen Föderalismus Sache der einzelnen Bundesländer und nicht des Kanzleramtes.

Der Bund befasst sich bislang nur mit dem Spitzensport, traditionell mit einer beim BMI und nunmehr beim Kanzleramt angesiedelten Abteilung. Eine solche gibt es auch in der DOSB-Zentrale in Frankfurt am Main, laut Stellenplan mit knapp 50 Personen. Gut möglich, dass dieses Gefüge weitere Änderungen erfährt, sobald die geplante, doch vorerst auf Eis gelegte nationale Spitzensportagentur ihre Arbeit aufnimmt. Das kann dauern. So stellt sich die Frage, was Schenderlein aktuell in ihrer neugeschaffenen Position nützen soll? Gelangt mit einer solchen Staatsministerin der Sport wieder zu angemessener Wertschätzung?

Seit der Jahrtausendwende sind Einfluss und Strahlkraft des Sports zusehends verblasst, was sich besonders deutlich in der Coronaphase zeigte. Die vielgepriesene »Autonomie des Sports« existiert inzwischen nur noch auf dem Papier und wurde sukzessive dem »Diktat des Faktischen« unterworfen. Längst hängen der »kleine Sport« und die olympischen sowie paralympischen Disziplinen am Tropf staatlichen Geldes. Mit Folgen: Wegen der finanziellen Zwänge halten Funktionäre lieber die Füße still, statt selbstbewusst aufzutreten, wo es Ignoranz und Gleichgültigkeit insbesondere der Bundespolitik gegenüber dem Sport zu kritisieren, ja anzuprangern gilt.

Um so größer waren beim DOSB die Erwartungen an die neue Regierungsposition. Schon die Nähe zum Kanzler werde bestimmt einiges bessern, so die Hoffnung. Doch die neue Staatsministerin ist das Gegenteil einer Fachfrau. Das beweist ihr Verhältnis zur Geschichte des ostdeutschen Sports. Ende Januar offenbarte die gebürtige Weißenfelserin auf ihrer Abgeordnetenwebsite, wie sie grundsätzlich tickt: »35 Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts keinesfalls abgeschlossen. Themen wie Zwangsdoping oder Zwangsadoptionen müssen in der nächsten Wahlperiode weiter aufgearbeitet werden. Darüber hinaus gilt es das beschlossene Mahnmal für die Opfer des Kommunismus endlich zu errichten, um allen Opfern einen würdigen Erinnerungsort zu geben.«

So also wird an der Spitze dieses völlig neuartigen Sportministeriums gedacht, das schnell konstruktive, wirkungsvolle Ansätze zugunsten des Spitzensports entwickeln und Impulse zur Kräftigung des gesamten bundesdeutschen Sports geben soll und den Sportförderetat des Bundes verwaltet. Eine gelinde gesagt irritierende Personalie. Es mutet an, als hätte Kanzler Merz jemandem aus den eigenen Parteikreisen – ostdeutsch, weiblich, jung – mit einem Quotenportefeuille versorgen wollen. Der organisierte Sport schluckte das brav, wie nicht anders zu erwarten war. Es hagelte Wattebällchen.

Schenderlein sollte sich schnellstmöglich kundig machen. Da sei ihr etwa ein Gespräch mit Rüdiger Barney empfohlen. Der Pädagoge aus Cuxhaven, Jahrgang 1948, leitete in Berlin bis 2013 eine »Eliteschule des Sports«. Fünf Jahre später wurde er mit einer Arbeit zum DDR-Spitzensport promoviert. Deren Ergebnisse fasste Barney Ende April in der Berliner Zeitung so zusammen: »Die erstaunlichen sportlichen Erfolge der kleinen DDR waren eben nicht nur auf die gezielte Abgabe leistungssteigernder Substanzen, sondern auch auf ein streng durchorganisiertes Sichtungssystem, auf eine engagierte, lückenlose Beobachtung der Talente und auf eine gezielte Förderung an den Kindes- und Jugendsportschulen und deren Renommee zurückzuführen.«

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