Streit in der Gewerkschaft
Von Gerrit Hoekman
Bei der mächtigsten Gewerkschaft in den Niederlanden, der Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV), hängt der Haussegen schief. Am Dienstag stellte die FNV den nächsten Interimsvorstand vor. Den letzten hatte der Aufsichtsrat am Sonnabend in die Wüste geschickt. Er war nur acht Wochen im Amt. Angesichts andauernder Querelen verlassen viele Mitglieder resigniert die FNV. 2024 verbuchte die Gewerkschaft außerdem einen Verlust von mehr als 20 Millionen Euro. Um die Kosten zu reduzieren, schlägt eine Unternehmensberatung unter anderem vor, aus der imposanten Gewerkschaftszentrale in Utrecht auszuziehen.
Der neue provisorische Vorstand wird von Dick Koerselman als Vorsitzendem angeführt. Seine Vertreterin wird Petra Bolster. Beide blicken auf eine lange Vita in der FNV zurück – im Gegensatz zum alten Interimsvorsitzenden Henk de Jong. Vergangene Woche eskalierte der Streit mit dem Aufsichtsrat, weil de Jong sechs Monate Zeit verlangte, um reguläre Vorstandswahlen vorzubereiten. Der Aufsichtsrat beharrte auf den 11. Juli. De Jong musste gehen.
Mitglieder und Belegschaft der FNV fragen sich schon lange, wer in der Organisation überhaupt das Sagen hat. Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat oder das Mitgliederparlament? Laut Statuten ist das Mitgliederparlament mit seinen 102 Delegierten das alles entscheidende Gremium. Doch in der Vergangenheit funkte häufig der Aufsichtsrat eigenmächtig dazwischen. Auch jetzt wieder. »Es ist nicht hinnehmbar, dass der Aufsichtsrat weiterhin Unruhe stiftet, ohne eine klare Lösung vorzulegen«, erklärte Judith Westhoek am Sonnabend auf der FNV-Homepage. Sie ist die Vorsitzende der Untergewerkschaft FNV-Personeel, in der die 1.700 Mitarbeiter der Gewerkschaft organisiert sind. FNV-Personeel hatte schon im vergangenen November in einem Schreiben an den Vorstand den Finger in die Wunde gelegt. Das Arbeitsklima sei katastrophal. Alle misstrauten allen. Am 17. Februar traten die Angestellten der FNV sogar in den Streik und forderten den Rücktritt des gesamten Vorstands.
Westhoek hält den 11. Juli als voraussichtlichen Termin der Vorstandswahl ebenfalls für zu früh. »Warum nicht warten, bis der unterste Stein umgedreht ist?« so Westhoek. »Wir können nicht zulassen, dass die internen Unruhen innerhalb der FNV weiter eskalieren, ohne dass echte Schritte hin zu einem funktionierenden und sicheren Arbeitsplatz für alle Mitglieder unternommen werden.«
Eigentlich hätte die Wahl ja schon Ende März stattfinden sollen. Aber auf einmal machten unschöne Gerüchte über Zakaria Boufangacha die Runde. Der damalige Zweite Vorsitzende habe seine Macht missbraucht und sich grenzüberschreitend verhalten. Kurz vorher hatte Boufangacha bekanntgegeben, dass er bei der Wahl des neuen Vorsitzenden kandidieren will. Am 7. März suspendierte der Aufsichtsrat kurzerhand den gesamten Vorstand, um endlich Ruhe zu schaffen. Die Wahl wurde auf den Sommer verschoben. Eine unabhängige Unternehmensberatung untersuchte die Gerüchte und kam Mitte April zu dem Schluss, dass sie keine Substanz hätten. FNV-Personeel sprach schon lange vorher von einer Intrige, die Boufangachas Kandidatur verhindern solle. Wer die Gerüchte in der Welt setzte, konnten die Unternehmensberater laut de Volkskrant nicht herausfinden.
Konservative Kreise wittern ob der anhaltenden Querelen in der FNV die Möglichkeit, die große Macht der Gewerkschaft im niederländischen »Poldermodell« zu beschneiden. Im »Poldermodell« werden gesellschaftspolitische Themen traditionell im Konsens gelöst. Das ist mit ein Grund dafür, dass in den Niederlanden vergleichsweise selten gestreikt wird. Besonders der Mitgliederschwund in der FNV spielt den Konservativen in die Karten. Waren es einst 1,2 Millionen Mitglieder, sind es heute nur noch 850.000. »Wenn aber die Gewerkschaften die Interessen von immer weniger Beschäftigten vertreten, warum haben sie dann ein Mitspracherecht bei unserer Arbeitsmarktpolitik, und warum schließen sie überhaupt noch Tarifverträge für alle Beschäftigten ab?« fragte das rechtskonservative Boulevardblatt De Telegraaf bereits im November.
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