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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Überbegabt und unterverkauft

Prefab Sprout im Sinn, Frankreich in der Stimme: Louis Philippes tolles Album »The Road to the Sea«
Von Alexander Kasbohm
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Männliche Posen sind ihnen fremd: Louis Philippe (r.) und The Night Mail

Eine kurze Einführung für diejenigen, die das Pech haben, Louis Philippe noch nicht zu kennen: Mit Anfang 20 zog Philippe Auclair von der Normandie nach London. Hier veröffentlichte er Mitte der 80er unter dem Namen Louis Philippe Songs auf dem legendären él-Label, wo er als Haussongwriter arbeitete und seine ersten drei Soloalben erschienen. Weder in Europa noch in den USA hatte er damit nennenswerte Erfolge, war aber für kurze Zeit »Big in Japan«, wo er mit seiner Single »You Mary You« zu einem westlichen Aushängeschild des damals populären Shibuya-Sounds wurde. Außerdem schrieb, arrangierte und produzierte er 1988 das von Julia Gilbert gesungene Anthony-Adverse-Album »The Red Shoes«.

Das große Publikum kann man mit so filigranen Liedern, wie Auclair sie aufnimmt, vermutlich nie erreichen. Aber ein gewisser Legendenstatus ist auch was Feines. Und vielleicht ein persönlich langfristig viel befriedigender Erfolg, wenn die Lebenskosten anderweitig gedeckt sind. Seine Soloalben sind few and far between, in der Zwischenzeit arbeitet er als Sportkolumnist für den Guardian und nimmt mit anderen Legenden wie Stuart Moxham (Young Marble Giants), Martin Newell (Cleaners from Venus) oder Sean O’Hagan (High Llamas, Stereolab) auf.

»The Road to the Sea« ist das zweite Album von Louis Philippe mit The Night Mail, einer Band, die aus Andy Lewis (Ex-Spearmint, Bass), Ian Button (Ex-Death in Vegas, Schlagzeug) und Robert Rotifer (Ex-Electric Eeels, Gitarre) besteht. Sie kam ursprünglich 2015 zusammen, um den Songwriter John Howard zu begleiten, einen weiteren Musiker aus der Kategorie »überbegabt und unterverkauft«, der seit den frühen 1970ern im Geschäft ist. Nach dem Album mit Howard spielte die Band noch einige Gigs mit Robert Forster (hervorragendes neues Album in Kürze) und Louis Philippe. Diese Zusammenarbeit führte 2020 zu dem Album »Thunderclouds«. War letzteres ein richtiges »Bandalbum«, steht bei »The Road to the Sea« wieder Louis Philippe, der Soundkünstler, im Mittelpunkt.

Das Album strahlt von den ersten Sekunden an die für Auclair typische mühelose Eleganz aus, der ein tiefes Sehnen zugrunde liegt, das meist auf etwas Unerreichbares (die Vergangenheit, nicht beschrittene Wege) zielt und daher unheilbar ist. Er singt mit dieser eigentümlich hohen, dünnen Stimme der Franzosen, die auch dem beschwingtesten Popsong (wie »­Pictures of Anna«) eine melancholische Tiefe gibt. Auf drei der 14 Songs wird dieser Effekt noch dadurch verstärkt, dass Auclair sie in seiner Muttersprache singt, die gar nicht anders kann, als melancholisch zu klingen.

»Song for Paddy (Wings of De­sire)« ist eine rührende Hommage an Paddy McAloon, den begnadeten Sänger und Songschreiber von Prefab Sprout – einer Band, deren beste Momente zu den größten Momenten der Popmusik überhaupt gehören. Auclair beschreibt den »Prefab-Sprout-Effekt« sehr schön: »Ihr Song ›Cruel‹ hat mein Leben verändert. Es war die Erkenntnis, dass es jemanden da draußen gab, der die Musik machte, die ich bis dahin nur in meinem eigenen Kopf hören konnte. Es war auch, und das ist sehr wichtig, eine vollkommene Ablehnung toxischer Rock-Maskulinität. Diese Haltung zieht sich durch das gesamte Werk von Prefab Sprout und, so hoffe ich, auch durch meins.«

Tatsächlich ist seiner Musik jedes Männlichkeitsgepose vollkommen fremd. Selbst in den Momenten, in denen die Musik »direkter« wird, also weniger verspielt, wie in »Watching Your Sun Go Down« oder »Where Did We Go Wrong« gibt es keine verzerrten Gitarren oder andere Klänge, die mit »Härte« assoziiert sind, oder sonstiges kerliges Gedöns. »The Road to the Sea« ist eine Platte der Subtilitäten.

Auclair hat zu Protokoll gegeben, dass er das Leben in England dem in Frankreich deutlich vorzieht. Und dennoch kann man kaum französischer klingen, als er es tut. (An dieser Stelle fällt mir ein, dass Donald Fagen mal bemerkte, dass Steely Dan ihre Westcoast-Songs geschrieben haben, wenn sie in New York waren und umgekehrt. Vielleicht ist hier ein ähnliches Phänomen am Wirken. Der Ort der Gefühle ist vielleicht nie der Ort, an dem man gerade ist.) Zudem ist der Schlag anglophiler Franzosen (wie der der frankophilen Engländer) grundsätzlich ebenso charmant, wie er selten ist. »The Road to the Sea« ist eine Absage an jegliches Mackertum und auch an einfache Lösungen. Louis Philippe lässt die Nuancen schillern.

Louis Philippe & The Night Mail: »The Road to the Sea« (Tapete)

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