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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Die Versprecher

Erste Regierungserklärung von Merz
Von Arnold Schölzel
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Nach drei Jahren ohne Wirtschaftswachstum soll Rüstung nun den Aufschwung bringen (Berlin, 14.5.2025)

Donald Trump hat das Tempo, mit dem in parlamentarischen Demokratien politische Ankündigungen dem Vergessen durch den Versprechenden anheimfallen, beträchtlich erhöht. Friedrich Merz ist eine deutsch-mittelständische Trump-Variante. Die Zerfallsgeschwindigkeit seiner Ansagen nähert sich der des US-Vorbilds – in Krisenzeiten nicht überraschend. Am Tag seiner ersten Regierungserklärung zitierte die von Springer als Regierungsorgan zur Verfügung gestellte Bild zum Beispiel aus einer Merz-Rede im Bundestag am 16. Oktober 2024 zu Wladimir Putin: »Wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch ›Taurus‹-Marschflugkörper geliefert werden.« Bei »Caren Miosga« gab Merz am 13. April sogar ein Ziel vor: die Brücke von Kertsch. Am Mittwoch aber herrschte »Taurus«-Ruhe – keine Silbe in der Merz-Rede. Das war vier Tage nach dem Ultimatum an Moskau, Waffenstillstand ab Montag – sonst … Es geschah nichts, und die beschlossenen Sanktionen waren offenbar von der Art, dass Merz auch sie am Mittwoch in seiner Rede wegließ.

Das ist mehr als das gewöhnliche Zick und Zack, das in selbstproduzierten Krisenzeiten Regierungskunst wird: »Zeitenwende« rufen und es zunächst bei der Lieferung von Stahlhelmen belassen, aber bei Stellvertreterkrieg, deutschen Panzern auf russischem Territorium und eventuell beim »Taurus«, der Moskau treffen kann, landen. »Energiewende« verkünden, aber US-Frackinggasimport zur Staatsräson erheben und ein Verarmungs- und Deindustrialisierungsprogramm per Strompreis durchpeitschen. Merz übertraf solch Tun jedoch mit Leichtigkeit, als er die heilige Kuh der CDU/CSU-Wählerschaft schlachtete und die Staatsverschuldung voraussichtlich verdoppelte – für Kanonen und Butter im Jargon. Das trug ihm vermutlich den zweiten Wahlgang beim Kanzlerwerden ein.

Diesen Dolchstoß haben seine »Parteifreunde« nicht vergessen. Die Regierungserklärung verharmloste entsprechend den Schuldensprengstoff und handelte von allem, also von nichts. Aber es gibt Feststehendes: Die am 4. März von den Koalitionären versprochenen Billionen Euro für Rüstung wird es geben. Adenauer schaffte seinerzeit die Wiederbewaffnung, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dagegen war. Die Ampel hat nun die Mehrheit dazu gebracht, für die Kriegsparteien zu stimmen. Dafür hat Merz am Mittwoch Scholz und Co. zu Recht gedankt. Nach dem BRD-Rekord von drei Jahren ohne Wirtschaftswachstum will der Kanzler das nun durch Rüstung herbeizaubern. Daraus wird nach allen Prognosen nichts – nur die Kanonen sind gesetzt. Das ist das einzige Versprechen, das seit Adenauer gehalten wird. Wenn das Land Glück hat, wird auch aus den Kanonen nicht viel. Der dann fällige Merz-Nachfolger wird sich um den Entzug der Butter zu kümmern haben.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Hamburg, Manni Guerth (15. Mai 2025 um 06:55 Uhr)
    Scholz und Merz schrauben die ideologische Kriegssicherung raus und in den deutschen Hirnen geht das Licht aus. Obwohl jeder sehen kann, dass sich die deutschen Politiker ausschließlich in der geistigen Nullzone bewegen, werden diese Kreaturen weiterhin gewählt. Begleitet von den öffentlich-rechtlichen Medien, mit ihrer Knalltütenpropaganda, werden Merz und seine Kriegsideen in allen öffentlichen Esel- und Papageien-Sendungen, wie z. B. der Tagesschau, verbreitet. Ich bin mir sicher, dass die Hauptaufgabe der ÖRM darin besteht, die Lebenden nicht mit Fakten zu informieren, sondern die Menschen mit der Regierungspropaganda ins politischen Wachkoma zu versetzen und zu halten. Manni Guerth
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. Mai 2025 um 22:32 Uhr)
    Wo Mittelmaß auf Realität trifft: Friedrich Merz ist zurück – aber nicht wie ein Phönix aus der Asche, sondern schlichtweg deshalb, weil es keinen Besseren gab. Einst von Angela Merkel politisch kaltgestellt, schien seine Karriere beendet. Kaum jemand hätte noch auf sein Comeback gewettet. Und doch ist er wieder da – nicht aus Überzeugung, sondern aus Mangel an Alternativen. Was will Merz? Diese Frage bleibt offen. In einer Zeit tiefgreifender Krisen scheint er vor allem eines zu wollen: Führung demonstrieren. Doch worin genau? Das bleibt diffus. Merz ist ein Kind des Wohlstandes der Bonner Republik, ein Vertreter eines konservativen Denkens, das sich in der heutigen Welt zunehmend überlebt hat. Er hat offenbar noch immer nicht erkannt, dass Deutschland – trotz wirtschaftlicher Stärke – in der geopolitischen Arena eine begrenzte Rolle spielt. Statt sich um Ordnung im Inneren zu bemühen, versucht er, außenpolitisches Gewicht zu inszenieren – mit markigen Worten, leeren Ultimaten und folgenlosen Ankündigungen. Die Illusion, Deutschland könne durch eine neue militärische Ernsthaftigkeit wieder global bedeutend werden, ist eine gefährliche Fehleinschätzung. Merz versucht, Stärke zu zeigen, wo Orientierung gefordert wäre. Doch sein Politikstil gleicht einem Schattenboxen mit Versprechen, die schneller verfallen, als sie ausgesprochen werden. In unsicheren Zeiten reicht es nicht, sich groß zu geben. Es braucht Substanz. Und genau daran fehlt es ihm – wie so vielen, die im Mittelmaß angekommen sind und es für politische Führung halten.

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