Streik bei Ford
Von Oliver Rast
Die Vorbereitungen laufen die ganze Nacht. Bis zur Frühschicht um 4.30 Uhr am Mittwoch morgen. Dann steht alles. Eine Bierbank quer über die Zufahrt vor dem azurblauen Werkstor. Dazu rot-weißes Flatterband als symbolische Grenzziehung mit knallroter Warnweste der IG Metall (IGM) samt Schriftzug »Wir streiken!« Ein Pavillon auf dünnen Metallstangen seitlich vor dem schweren Gatter zur Betriebszufahrt. Darunter ein sperriger Klapptisch mit Kannen Kaffee, Trinkbechern und Snacks für zwischendurch.
Es ist eine Art Checkpoint der IGM Köln-Leverkusen vor dem Tor 3 der Ford-Werke im Kölner Stadtteil Niehl. Dort können die, die bis zum Ende der Nachtschicht am Donnerstag morgen im Arbeitsausstand sind, ihre Streikgeldcoupons abholen.
Noch ackern beim deutschen Tochterunternehmen des US-Autobauers rund 11.500 Kollegen. Bis Ende 2027 wollen die Ford-Bosse knapp 3.000 Stellen streichen. Planspiele, die Protest hervorrufen seitens des Gesamtbetriebsrats (GBR), des IGM-Vertrauenskörpers und der regionalen IGM. Seit 27. März verhandeln Gewerkschaft und Konzernleitung über einen Sozialtarifvertrag. Ergebnislos. Folge: Urabstimmung bei Ford. 95,7 Prozent der stimmberechtigten IGM-Mitglieder beteiligten sich jüngst an der Wahl, 93,5 Prozent davon votierten für einen (möglichen) unbefristeten Streik. Im Anschluss an das Votum setzte die IGM die Verhandlungen mit der Kapitalseite aus – bis zu einem »abschlussfähigen Angebot«, heißt es.
»Abschlussfähig« bedeutet was? Ein grober Rahmen für die »Restrukturierung« sei abgesteckt worden, erklärte der GBR-Vorsitzende Benjamin Gruschka Ende April nach zehn Verhandlungsrunden. Aber, zahlreiche Punkte seien offengeblieben, etwa Vereinbarungen zu Betriebsübergängen, Insolvenzschutz und Abfindungskonditionen. Besonderer Knackpunkt: Die Ford-Bosse fordern seitens des GBR die Aufgabe des betriebsbedingten Kündigungsschutzes.
Und wie reagiert die Konzernführung auf den Streik? Nicht. Jedenfalls nicht öffentlich. Solange Gespräche mit den »Sozialpartnern« stattfänden, »können wir keine Interviews oder Statements zur Transformation geben«, zitierte die Wirtschaftswoche am Mittwoch aus Ford-Kreisen. Bekannt ist hingegen, dass der Konzern mit einer Patronatserklärung – einer Quasibürgschaft – seit 2006 für alle Schulden und Verluste der Ford-Werke GmbH einstand. Die Tochter soll im Gegenzug einmalig »bis zu 4,4 Milliarden Euro« erhalten, um die Schuldenlast zu senken, verlautbarte Ford im März. Ferner wollen die US-Amerikaner laut Zeitungsberichten in den kommenden vier Jahren jeweils niedrige dreistellige Millionenbeträge überweisen, um »die Sanierung« zu unterstützen. Nur, das dürfte keinesfalls reichen, um eine potentielle Pleite abzuwenden. Ein Indiz: Im Geschäftsbericht 2023 der deutschen Tochterfirma wird ein »nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag« von rund neun Milliarden Euro aufgeführt, weiß die Wirtschaftswoche.
Zurück zum Streik. Bürgerliche Medien behaupteten am Mittwoch, die Arbeitsniederlegung sei die erste in der hundertjährigen Werksgeschichte Fords hierzulande. Falsch. Bereits im Sommer 1973 hatten migrantische Fordianer zum Arbeitskampf mittels »wilder Streiks« am Kölner Stammsitz mobilisiert. Für bessere Jobs, für gleichen Lohn.
Und heute? Immerhin: Die Produktion stand am Mittwoch still, kein Elektroauto der beiden in Köln-Niehl gefertigten Modelle lief vom Band, bestätigte IGM-Vertrauenskörperleiter David Lüdtke gleichentags gegenüber Pressevertretern. Es habe aber ein »Notdiensttor« gegeben. »Wer unbedingt Streikbrecher sein will, der käme auch rein – aber mit dem würden wir vorher noch sprechen«, so Lüdtke weiter. Und die Stimmung in der Belegschaft? »Klar, die ist mies«, sagte Peter Krause (Name geändert) zu jW. Zumal im lokalen Management nur noch Leute säßen, die »als Sanierer geholt wurden, als Plattmacher, die vom Autobau keine Ahnung haben«.
Vergleichbar die Streiksituation bei Ford FCSD, dem Ersatzteillager in Köln. »Die Arbeit ruht«, sagte Frank Koch im jW-Gespräch. Komplett? »Komplett!« betonte der dortige IGM-Vertrauenskörperleiter. An einem normalen Werktag würden pausenlos Lkw hin- und herfahren. »Heute nicht.« Und: Nach ergebnislosen Gesprächsrunden und mehrstündigen Warnstreiks habe man die nächste Eskalationsstufe gezündet: Tagesstreik.
Nur, wie geht es weiter? Schon am Dienstag legten die Ford-Bosse »neue Vorschläge« vor. »Unser Druck zeigt Wirkung«, bemerkt Koch. Details darf er aber nicht nennen. Nur so viel: Im Hintergrund würden weitere Arbeitskampfmaßnahmen geplant. »Für den Fall der Fälle.« Dann, wenn wieder Streikposten vor den Werkstoren stehen.
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