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Aus: Ausgabe vom 13.05.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Die Leidenschaft des Ziegenbocks

Die ersten drei Etappen des Radsportklassikers Giro d’Italia
Von Holger Römers
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Oh, wie schön ist Albanien: Etappe drei des Giro d’Italia

Nach drei Etappen gab es beim Giro d’Italia am Montag eine Pause. Denn der gesamte Tross musste von Albanien, das gegen Zahlung entsprechender Lizenzgebühren die sogenannte Grande Partenza ausgerichtet hatte, an den nominellen Austragungsort der dreiwöchigen Radsportveranstaltung geschafft werden. In Apulien, wo am Dienstag eine Sprintentscheidung erwartet wird, ist wohl auch mit größerer Begeisterung zu rechnen, als sie im Nachbarland das überschaubare Publikum mit gezückten Handys aufbringen mochte. Zu echter Leidenschaft ließ sich nur ein Ziegenbock hinreißen, der am Sonntag offenbar einen Fahrer auf die Hörner nehmen wollte, jedoch im Übermut am Ziel vorbeiflog.

Dessen ungeachtet dürfte Mads Pedersen (Lidl – Trek) mit der Albanien-Bilanz vollauf zufrieden sein, denn ihm gehört zur Zeit, wie angestrebt, das Rosa Trikot des Gesamtführenden. Am Sonntag schaffte es der sprintstarke Klassikerspezialist, bei der Überquerung des schwersten Anstiegs im ausgedünnten Peloton zu bleiben, nachdem seine Mannschaft mit Tempoarbeit die ›reinen‹ Sprinter abgehängt hatte. So konnte sich der 29jährige Däne auf der Schlussgeraden in Vlorë den Tageserfolg vor dem vier Jahre jüngeren Neuseeländer Corbin Strong (Israel – Premier Tech) und vor Orluis Aular (Movistar Team) sichern, der zwar die höchste Endgeschwindigkeit aufbrachte, aber zuvor schlecht plaziert war.

Der 28jährige Venezolaner war schon am Freitag Dritter geworden, als Pedersen eine noch imposantere Leistung seiner Mannschaft mit seinem ersten Etappensieg krönte. An einem knackigen Hügel, der auf dem abschließenden Rundkurs um Tirana zweimal zu überwinden war, spannte das Team Lidl – Trek sogar den Klassementfahrer Giulio Ciccone ein. Der brachte, nachdem die Sprintspezialisten ausgesiebt waren, auch persönliche Konkurrenten in Bedrängnis: Zu den Kandidaten auf einen Top-10-Platz der Gesamtwertung, die sich völlig unerwartet eine bis anderthalb Minuten Rückstand einhandelten, gehörten etwa Derek Gee (Israel – Premier Tech) und Thymen Arensman (Ineos Grenadiers). Ein anderer, Mikel Landa (Soudal – Quick-Step), musste das Rennen aufgeben, nachdem er in der Schlussabfahrt gestürzt war und sich einen Wirbel gebrochen hatte.

Um so mehr überraschte unter diesen dramatischen Vorzeichen, dass Wout van Aert (Team Visma – Lease a Bike) im Sprint nur knapp auf den zweiten Rang verwiesen wurde. Nachdem der 30jährige belgische Superstar vor seinem Giro-Debüt eine (angebliche) Virusinfektion öffentlich gemacht hatte, schien es doch noch denkbar, dass er sich im Zeitfahren am Sonnabend vorübergehend das Rosa Trikot sichern würde. Statt dessen wurde er beim Kampf gegen die Uhr bloß 34. und handelte sich am Sonntag einen Riesenrückstand ein, so dass die körperliche und mentale Verfassung des Alleskönners weiterhin Rätsel aufgibt.

Gewonnen wurde das Zeitfahren vom Briten Joshua Tarling (Ineos Grenadiers), dem wahrscheinlich talentiertesten Spezialisten im Fahrerfeld, der erst im Februar 21 geworden ist. Zweiter wurde indes ein 35jähriger, dessen Abstand von weniger als einer Sekunde ebenfalls auf Topform hinwies: Primož Roglič (Red Bull – Bora – Hansgrohe) kann nun erst recht als heißester Kandidat auf den abschließenden Gewinn des Rosa Trikots gelten, das er am Sonntag bereits vorübergehend getragen hat. Dass der Slowene seinen Gesamtsieg von 2023 wiederholen kann, ist im Augenblick um so wahrscheinlicher, da sein Hauptkonkurrent Juan Ayuso (UAE Team Emirates – XRG) – nach einem offenbar harmlosen Sturz am Freitag – als Zehnter im Zeitfahren unter den Erwartungen blieb und nun bereits sechzehn Sekunden Rückstand auf Roglič hat. Mit Platz 19 erreichte Michael Storer (Tudor Pro Cycling Team) hingegen ein für seine Verhältnisse sehr gutes Zeitfahrergebnis. Der 28jährige Australier darf nun wohl erst recht hoffen, nach seinem Gesamtsieg bei der vorangegangenen Tour of the Alps unter den ersten Fünf beim Giro zu landen.

Am Dienstag wird sich unterdessen Pedersen voraussichtlich mit den Sprintspezialisten messen, zu denen vor allem der 23jährige Niederländer Olav Kooij (Team Visma – Lease a Bike), der 34jährige Ire Sam Bennett (Decathlon AG2R La Mondiale Team), der zehn Jahre jüngere Belgier Milan Fretin (Cofidis) sowie der 26jährige Australier Kaden Groves (Alpecin – Deceuninck) gerechnet werden müssen. Selbst wenn der Träger des Rosa Trikots sich in Lecce nach 189 Kilometern nicht erneut durchsetzen sollte, hat er allemal Chancen, seine Gesamtführung mindestens einen Tag zu verteidigen.

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