Chronische Erschöpfung auf Vormarsch
Von Dieter Reinisch, Wien
Die Zahl der Menschen, die an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom – kurz ME/CFS – erkrankt sind, steigt weiter stark an. In Deutschland sind den Krankenkassen und Fachgesellschaften zufolge rund 600.000 Menschen betroffen. Auch in Österreich ist die schwere chronische Erkrankung seit der Coronapandemie auf dem Vormarsch. Am Montag wurden in der Alpenrepublik mehrere Protestaktionen zum Anlass des Internationalen ME/CFS-Tags und des Internationalen Tags der Pflegenden organisiert. Mit Spannung erwartet wird die Budgetrede am Dienstag im österreichischen Parlament; Kürzungen im Pflegebereich sind zu befürchten.
Mehr Geld wird für die Behandlung der chronischen Erschöpfungskrankheit allerdings notwendig sein. Speziell für die österreichischen Betroffenen sei es schwer, von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Pflegegeld oder eine Arbeitsunfähigkeitspension zu bekommen, betonten Betroffenenvertreter auf einer Protestaktion am Montag. In Österreich sind laut ORF-Daten 74.000 Menschen an ME/CFS erkrankt. Etwa 15.000 von ihnen leiden unter so starken Schmerzen, dass sie ihr Zuhause nicht verlassen können. Zu chronischer Erschöpfung kommen oft heftige Kopf- und Muskelschmerzen, Herzrasen, Schlafstörungen, Schwindel oder Magen-Darm-Probleme, ist im Bericht zu lesen: »Manche brauchen plötzlich einen Rollstuhl. Manche strengt sogar das Sprechen zu sehr an. Körper und Psyche sind chronisch erschöpft«, schreibt das Rechercheteam.
Um ein größeres Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen, wurde am Montag nachmittag an mehr als zehn Orten, darunter die Landeshauptstädte Innsbruck, Salzburg, Graz, Klagenfurt und St. Pölten, zu Aktionen aufgerufen. Die größte Veranstaltung fand am Heldenplatz in Wien statt. Veranstaltet wurde sie von der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS (ÖG ME/CFS). Sie wolle auf die Lage der Betroffenen aufmerksam machen: »Betroffene fordern Aufklärung, Versorgung und Forschung«, denn trotz der offiziellen Anerkennung von ME/CFS durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1969 gäbe es für sie bis heute keine Versorgung, schrieb ÖG ME/CFS in einer Presseaussendung.
Daneben fordern Ärzte und Betroffene auch mehr Geld für Forschung und Behandlung von Long Covid und ME/CFS: »Im Medizinstudium hört man nichts von der Krankheit. Oft wird sie daher nicht ernst genommen, nicht erkannt oder fehldiagnostiziert – mit schweren Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien«, so Astrid Hainzl, stellvertretende ÖG ME/CFS-Obfrau.
Die Kosten von Long Covid würden sich jährlich auf 60 Milliarden Euro belaufen, geht aus einer neuen Studie der ME/CFS Research Foundation hervor, die der Spiegel am Sonnabend veröffentlichte. Ein Forscherteam aus Deutschland und Australien berechnete die Coronawellen bis Ende 2024 und die daraus resultierenden Fälle von Long Covid und ME/CFS, denn ein Teil der an Long Covid erkrankten Menschen entwickelt die bislang nicht heilbare Multisystemerkrankung. Es liefert zudem eine Schätzung der gesellschaftlichen Kosten, die diese beiden Krankheiten in den Jahren 2020 bis 2024 nach sich gezogen haben. Diese liegen demnach bei rund 60 Milliarden Euro pro Jahr, so der Spiegel. Der Endbericht wird am Dienstag im Rahmen einer ME/CFS-Konferenz im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin vorgestellt. 200 internationale Ärztinnen und Wissenschaftler nehmen an dem Austausch teil.
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