Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist!
Von Holger Teschke
»Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird«, schrieb der Prediger und Anführer der Thüringer Bauern, Thomas Müntzer, in seiner »Hochverursachten Schutzrede« gegen Martin Luther im September 1524. »Die Ursach des Aufruhrs wollen sie nit wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muß ich aufrührisch sein. Wohl hin!«
Mit diesem Sendschreiben war das Band zwischen Müntzer und Luther, den er darin als das »geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg« und »Doktor Lügner« verspottete, endgültig zerschnitten. Luthers Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem er schon im Januar 1522 eine »Treue Vermahnung zu allen Christen sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung« verfasst hatte, folgte auf die Erhebungen in Sachsen und Thüringen im Mai 1525 sein Aufruf »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«, in dem es unter anderem heißt: »Drum soll hier erschlagen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann! (…) Drum, liebe Herren, erlöst, schlagt, würgt! Bleibst du darüber tot, wohl dir! Seligeren Tod kannst du nimmermehr überkommen.« Damit waren die Massaker der Fürstenheere und Landsknechtshaufen theologisch gerechtfertigt und Müntzer als der »Erzteufel von Mühlhausen« für vogelfrei erklärt. Aber wie war es zu diesem Zerwürfnis der einstigen Verbündeten gekommen und was war dem Konflikt vorausgegangen?
Hans Böhms Vision
Schon im Frühjahr 1476 löste der 18jährige Hirte Hans Böhm, später bekannt als der »Pfeifer von Niklashausen«, eine erste große Volksbewegung im Bistum Würzburg aus. Er verkündete, die Gottesmutter Maria sei ihm erschienen und habe verkündigt, dass vor Gott alle Menschen gleich seien. Deshalb dürfe es weder Papst noch Kaiser oder Adel und auch keine Abgaben und Frondienste mehr geben. Außerdem versprach er allen, die zu der kleinen Marienkirche nach Niklashausen wallfahrten, den Ablass ihrer Sünden. Dieser Botschaft sollen in nur drei Monaten mehr als 70.000 Menschen aus Bayern, Schwaben, Thüringen und Sachsen gefolgt sein.
Diese unerwartete Entwicklung beunruhigte den Fürstbischof von Würzburg, Rudolf von Scherenberg, zutiefst. Er ließ am 12. Juli 1476 den Hirtenprediger auf sein Schloss verschleppen und foltern, um der vermeintlichen Hintermänner dieser Bewegung habhaft zu werden. Aber der Beschuldigte beteuerte, nur nach dem Befehlen der Gottesmutter gehandelt zu haben.
Als der Fürstbischof endlich einsah, dass Hans Böhm ein zwar charismatischer, aber harmloser Schwärmer war, griff er zu einer Verleumdungskampagne, um seine Anhänger in Furcht und Schrecken zu versetzen. Er brandmarkte ihn als Ketzer und ließ auf die vor dem Schloss betenden Wallfahrer seine Reiterei los. Die Marienkirche wurde abgerissen und sämtliche Erinnerungen an die Predigten Böhms getilgt. Aber trotz aller Versuche, dessen urchristliche Botschaft als Ketzerei zu verteufeln, blieb die Erinnerung an den frommen Hirten über Jahrhunderte lebendig. 1970 drehte Rainer Werner Fassbinder die »Niklashauser Fart« mit Michael König und Hanna Schygulla und übersetzte in seinem Film die Frage nach den Bedingungen und dem Scheitern dieser Volksbewegung in die Gegenwart der Bundesrepublik. Eine Stele von Heinrich Schreiber auf dem Würzburger Schottenanger, auf dem Hans Böhm am 19. Juli 1476 verbrannt wurde, erinnert seit 2001 an dessen Botschaft.
Mit gleichem Hass und gleicher Gewalt gingen die geistlichen und weltlichen Machthaber vierzig Jahre später gegen Nachfolger des Pfeifers vor, die es nicht bei frommen Predigten belassen wollten. Sowohl der »Bundschuh« des Joß Fritz aus dem Bistum Speyer, der zwischen 1501 und 1517 Bäuerinnen und Bauern um sich versammelte und seinen Häschern immer wieder entkam, als auch die Bewegung des »Armen Konrad« im Herzogtum Württemberg um 1514, wurden gnadenlos verfolgt. Dennoch begann Thomas Müntzer im Mai 1520 in Zwickau, wohin ihn Luther empfohlen hatte, sein Evangelium von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Geiste der Bergpredigt zu verkünden. Schon ein Jahr später verwies ihn der Rat dafür aus der Stadt. Eine Wanderschaft über Prag und Halle brachte ihn zu Ostern 1523 ins sächsische Allstedt, wo ihm wiederum auf Grund einer Empfehlung das Pfarramt an der Johanniskirche angetragen wurde. Hier begann er, die lateinische Messe und die zahllosen katholischen Fest- und Feiertage abzuschaffen und statt dessen Messe und Predigt auf Deutsch einzuführen. Nun konnte die ganze Gemeinde Gottes Wort und der Botschaft des Evangeliums folgen und erkennen, wie weit ihr Leben unter der Willkür ihrer geistlichen und weltlichen Herrschaft davon entfernt war.
Müntzer ließ in Allstedt sowohl seine »Deutsch-Evangelische Messe« als auch die »Ordnung des Deutschen Kirchenamts« drucken und begründete damit eine für jedermann verständliche protestantische Liturgie, die Luther in Wittenberg schon wieder zurückgezogen hatte. Der mutige Prediger heiratete die aus ihrem Kloster geflohene Nonne Ottilie von Gersen, ein Jahr später bekam das Paar einen Sohn.
»Gott wird euch stäupen!«
Müntzer wurde auch in Allstedt nicht müde, gegen Amts- und Machtmissbrauch von Kirche und Adel zu predigen. Zu seinen folgenreichsten Anklagen gehörte die »Fürstenpredigt«, die er am 13. Juli 1524 auf dem Schloss vor Herzog Johann von Sachsen, dessen Sohn Johann Friedrich sowie dem kurfürstlichen Kanzler Dr. Brück hielt. »Drum, ihr teuren Väter von Sachsen, ihr müsst es wagen um des Evangeliums willen, oder Gott wird euch stäupen!«, rief er den verdutzten Herren in der Schlosskapelle zu. »Sie haben das Land nicht durch das Schwert gewonnen, sondern durch die Kraft Gottes. (…) Daß aber dasselbe nun redlicherweise und füglich geschehe, so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie das aber nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden, denn sie bekennen ihn mit Worten und leugnen ihn mit der Tat.« Dass ihre Macht nur durch ein christliches Vorbild legitimiert und durch Doppelmoral verspielt werden könnte, das wollten sich die Herren schon damals nicht sagen lassen.
Als Müntzer es auch noch wagte, diese Predigt ohne kurfürstliche Erlaubnis drucken und verteilen zu lassen, war das Maß voll. Er wurde aus Allstedt ausgewiesen und floh ins thüringische Mühlhausen, wo er im August 1524 Aufnahme fand. Aber nachdem er dort gemeinsam mit dem protestantischen Prediger Heinrich Pfeiffer die »Elf Mühlhäuser Artikel« verfasst und einen »Ewigen Bund Gottes« gegründet hatte, der den alten Rat stürzen und gleiche Rechte für alle einfordern wollte, wurde er auch hier im September 1524 ausgewiesen. Über Nürnberg, wo er seine »Hochverursachte Schutzrede« gegen Luther verfasste, ging er weiter gen Süden, von wo Nachrichten von Aufständen im Rheingebiet um Waldshut gekommen waren. Doch schon im Februar 1525 kehrte er zurück nach Mühlhausen, wo Frau und Sohn in einem Dorf in der Nähe geblieben waren. Heinrich Pfeiffer war es mit Hilfe seiner bewaffneten Anhänger gelungen, den Rat im Dezember 1524 zu zwingen, ihm die Predigterlaubnis zurückzugeben und offenbar hatte Müntzer davon erfahren. Die Gemeinde der Marienkirche wählte ihn zu ihrem Pfarrer und gemeinsam mit Pfeiffer und dessen Getreuen ließen sie die Mühlhäuser einen »Ewigen Rat« wählen, der die Klöster der Stadt auflöste und deren Besitz in die Nutzung der Gemeinde verfügte.
Im April 1525 kamen Nachrichten von Bauernaufständen in Franken und Württemberg nach Thüringen und ließen die Bauern auch dort zu ihren Heugabeln, Dreschflegeln und Sensen greifen und gegen die Burgen ihrer Herrschaft ziehen. »Vielleicht hat man den armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursach gegeben«, schrieb der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise im April an seinen Bruder und Mitregenten Johann und folgerte: »Will es Gott also haben, so wird es so ausgehen, dass der gemeine Mann regieren soll.« Aber diese einsame Stimme der Einsicht verstummte wenige Wochen später, als Friedrich der Weise starb.
Sein Nachfolger und dessen Verbündete hatten nicht vor, ihre Macht und ihre Privilegien von Predigern und Bauern in Frage stellen zu lassen. Müntzer verfasste am 26. April 1525 sein Sendschreiben an die Allstedter und forderte sie auf, sich den bewaffneten Bauern anzuschließen: »Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist«, rief er ihnen zu. »Lasset euer Schwert nit kalt werden, lasset nit verlahmen! Schmiedet pinke-panke auf den Ambossen Nimrods, werft ihnen den Turm zu Boden! Dran, dran, weil ihr Tag habt. Gott geht euch voran, folget, folget!« Ernst Bloch hat diesen Aufruf in seinem »Geist der Utopie« von 1918 »das leidvollste und rasendste Revolutionsmanifest aller Zeiten« genannt. Und tatsächlich waren die Predigten Müntzers auch von einer apokalyptischen Endzeitstimmung geprägt, die ihren Furor aus der Überzeugung bezog, dass das Ende der Welt und das Jüngste Gericht nahe waren.
Geköpft und gepfählt
Nach einem Streit mit Pfeiffer, der Mühlhausen nicht schutzlos lassen wollte, zog Müntzer mit nur 300 Männern unter seiner Regenbogenfahne am 10. Mai 1525 nach Frankenhausen, wo sich die thüringischen Bauernhaufen unter ihrem militärischen Anführer Bonaventura Kürschner versammelt hatten. Noch am 13. Mai bat Müntzer in einem Schreiben an die Erfurter um Verstärkung: »Ihr werdet nicht daheim bleiben, es wär denn, dass euch die Lutherischen Breifresser mit ihrer beschmierten Barmherzigkeit weich gemacht hätten. Helft uns mit allem, was ihr vermögt, mit Volk, mit Geschützen.« Historiker schätzen, dass sich in Frankenhausen zwischen 6.000 und 8.000 Bauern eingefunden und hinter einer Wagenburg aus aneinandergeketteten Karren verschanzt hatten. Ihnen standen am 15. Mai die vereinten Heere Philipp von Hessens, Heinrich von Braunschweigs und Georg von Sachsens gegenüber: 4.000 kampferfahrene Landsknechte und 2.000 Reiter. Die Fürsten verlangten die Auslieferung Müntzers und »Ergebung auf Gnade und Ungnade«.
Während die Bauern noch über diese anmaßenden Bedingungen diskutierten, erschien plötzlich ein Lichtbogen um die Sonne, den Müntzer als ein Zeichen Gottes für den Sieg ihres Bündnisses deutete. Unterdessen brachen die Fürsten die vereinbarte Waffenruhe und begannen mit einer gnadenlosen Kanonade. Noch ehe die im Ring versammelten Bauern zu ihren Waffen greifen konnten, stürmten die Landsknechte und Reiter die Wagenburg. Viele Aufständische versuchten, nach Frankenhausen zu fliehen und wurden dabei von den Verfolgern niedergemetzelt. Der Talweg, der vom Schlachtberg in die Stadt führt, heißt bis heute »Die Blutrinne«.
Thomas Müntzer gelang es, sich auf dem Dachboden eines Hauses am Angertor zu verstecken. Dort quartierte sich bald darauf der Ritter Otto von Eppen ein und einer seiner Knechte entdeckte den Flüchtling, der sich als Kranker ausgab. Dann aber wurde eine Tasche mit Briefen entdeckt, die ihn verrieten. Noch am Abend des 15. Mai wurde Müntzer auf die Wasserburg seines Erzfeindes Ernst von Mansfeld ins nahe Heldrungen gebracht. Dort wurde der Gefangene verhört, gefoltert und schließlich am 27. Mai 1525 zusammen mit Heinrich Pfeiffer vor den Toren Mühlhausens geköpft und gepfählt.
Doch die Fürsten wollten nicht nur Müntzers Leben, sondern auch seine Botschaft auslöschen. Sie ließen nach seinem Tod einen »Widerruf« veröffentlichen, in dem er angeblich seine Taten bereute, die Niederlage der Bauern als gerechte Strafe Gottes anerkannte und sich wieder zum katholischen Glauben bekehrte. Nicht einmal seine letzte Bitte, seine schwangere Frau und seinen Sohn zu verschonen, erfüllten die Sieger. Ottilie von Gersen wurde ihrer Habe beraubt, aus der Stadt gejagt und irrte zwischen Nordhausen und Erfurt umher, bis sich ihre Spur verlor. Käthe Kollwitz hat auf ihren »Blättern über den Bauernkrieg«, die zwischen 1899 bis 1908 entstanden, die Frauen des Aufstands als mutige Kämpferinnen an der Seite ihrer Männer gezeigt. Im »Aufruhr« fliegt ein nackter weiblicher Engel neben der Fahne des Bauernhaufens, und im »Losbruch« feuert eine sehr irdische »Schwarze Anna« die Aufständischen zum Sturm an.
Auch an den Einwohnern von Mühlhausen nahmen die Fürsten Rache und ließen sechs Bürger auf dem Obermarkt und zwanzig Bauern bei dem Dorf Höngeda hinrichten. Insgesamt sollen am 15. Mai 1525 und danach über 6.000 Bauern und Bürger abgeschlachtet worden sein. Katharina Kreuter, die selbst protestantische Messen abgehalten haben soll, wurde mit glühenden Eisen durch beide Wangen gebrandmarkt und aus der Stadt gejagt.
Dürers »Bauernsäule«
Das Fünfte Gebot galt bei den christlichen Machthabern schon damals nicht, wenn Untertanen es wagten, ihre Macht in Frage zu stellen. Doch der Protest dagegen verstummte nicht völlig. Albrecht Dürer zeichnete in seiner »Unterweisung der Messung« von 1525 eine »Bauernsäule« für denjenigen »der ein Victoria aufrichten wollt, darum dass er die aufrührischen Bauern überwunden hätte«. Sie besteht aus einer Basis aus Kühen, Schweinen und Schafen, einem Haferkasten und aus einer Säule aus Butterfass, Milchkrug und Getreidegarbe, auf der ein »trauernder Bauer, der mit einem Schwerte durchstochen sei«, kauert. Ein frühes Beispiel, wie Gesellschaftskritik auch in einem Buch der Proportionslehre versteckt und wie eine Siegessäule in die Schandsäule für die Sieger verwandelt werden kann. Seit April 2025 steht eine sieben Meter hohe Bronzereplik dieser Säule vor der Kornmarktkirche in Mühlhausen.
Neben Albrecht Dürer soll der Maler Jörg Ratgeb nicht vergessen sein, der das Wüten fürstlicher Soldateska schon früh in seinen Passionsbildern dargestellt hat. 1525 wurde er von aufständischen Bauern in Stuttgart zum Kriegsrat gewählt und nach der Niederlage bei Pforzheim von den Siegern wegen angeblichem Hochverrat gevierteilt. Auch der Würzburger Bildschnitzer Tilman Riemenschneider, der den Gesichtern von Bauern und Bürgern einen Platz auf den Altären Frankens gab, wurde nach der Einnahme der Stadt durch die Landsknechte des Fürstbischof Konrad von Thüngen in die Marienfeste verschleppt, gefoltert und anschließend mit Berufsverbot und Vermögensentzug bestraft. In den Chorälen von Heinrich Schütz und den Kirchenliedern von Paul Gerhardt klingt die Erinnerung an diese Leidensgeschichten bis heute nach.
Dennoch gelang es den Fürsten und ihren Nachfolgern bis ins 19. Jahrhundert, Müntzer und seine Anhängerinnen und Anhänger als Aufrührer, Gotteslästerer und Ketzer zu brandmarken. Dann aber erschien zwischen 1841 und 1843 die dreibändige »Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges« des Stuttgarter Theologen und Historikers Wilhelm Zimmermann, die das Streben der Bauern nach Freiheit und Gleichheit im Licht der politischen Forderungen des Vormärz darstellte. Sie erreichte 30 Auflagen mit über 300.000 Exemplaren. Friedrich Engels nahm das Werk zur Vorlage seiner eigenen Schrift über den Bauernkrieg und bescheinigte Zimmermann ein fundiertes Quellenstudium und beeindruckende Detailgenauigkeit. Er erklärte Müntzer zu einem frühen Kommunisten und verschaffte ihm so einen Platz auf dem Fünf-Mark-Schein der DDR.
Deutsche Misere
Zeitgleich erklang das Echo der Forderungen Müntzers und seiner Mitstreiter in Georg Herweghs Gedicht »Aufruf« von 1841: »Reißt die Kreuze aus der Erden! / Alle sollen Schwerter werden, / Gott im Himmel wird’s verzeihn.« In Heinrich Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen« war das Echo der Bauernkriege ebenso zu vernehmen wie in Georg Büchners »Hessischem Landboten«. Und Alexander von Humboldt konstatierte 1843: »Der große Fehler der deutschen Geschichte ist, dass die Bewegung des Bauernkriegs nicht durchgedrungen ist.«
Damit verweist er auf eine historische Tragödie, die Bertolt Brecht später »Die Deutsche Misere« nennen sollte, den Umstand, dass mit dem Scheitern dieses Aufstandes in Deutschland die Macht des Adels und des Klerus bis 1918 gefestigt wurde, während in England und Frankreich nach erfolgreichen bürgerlichen Revolutionen Parlamente und ein selbstbewusstes Bürgertum die Macht übernahmen. In seinen Notaten zu »Mutter Courage und ihre Kinder« stellte Brecht fest: »In den Bauernkriegen, dem größten Unglück der deutschen Geschichte, war, was das Soziale betrifft, der Reformation der Reißzahn gezogen worden. Übrig blieben die Geschäfte und der Zynismus.« Daran hat sich seit 1525 nichts geändert.
Dieser Gedanke hatte auch seinen Freund Hanns Eisler zum Libretto für die geplante Oper »Johann Faustus« angeregt, in der er den Gelehrten an die Seite Luthers stellt und den Verrat an den Bauern rechtfertigen lässt. Da aber die SED das »Klassische Erbe« von Goethe und Schiller für sich in Anspruch nahm, wurde Eislers »linkssektiererische Geschichtsbetrachtung« nach der Veröffentlichung des Textes 1952 einer vernichtenden Kritik unterzogen. Dass die Parteifunktionäre damit Müntzers Position verrieten und gleichzeitig die Komposition der Oper verhinderten, störte sie nicht. Aus ähnlichen Gründen verboten sie 1961 Aufführung und Veröffentlichung von Heiner Müllers »Die Umsiedlerin« und Peter Hacks »Moritz Tassow«, zwei große Komödien über die Konflikte bei dem Versuch, den Traum von endlich befreiten Bauern unter sozialistischen Verhältnissen nach 1945 zu verwirklichen. »Der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist«, forderte Heiner Müller 1986 in einem Gespräch mit Wolfgang Heise. In der Bundesrepublik hatte Dieter Forte diesen Gedanken schon 1970 mit seinem Theaterstück »Martin Luther & Thomas Müntzer oder Die Einführung der Buchhaltung« aufgegriffen.
Der Funke der Hoffnung
Für 1975 plante die SED zum 450. Jahrestag des Bauernkriegs ein Gedenkjahr für Thomas Müntzer, um seine Botschaft endgültig für die DDR zu reklamieren. Durch einen Beschluss des Politbüros wurde vom Kulturministerium ein Panoramagemälde in Auftrag gegeben, das auf dem Frankenhausener Schlachtberg nach dem Vorbild sowjetischer Monumentaldioramen an die Ereignisse von 1525 erinnern sollte. Der Leipziger Maler Werner Tübke, der dafür nach langen Beratungen auserwählt worden war, machte allerdings zur Bedingung, dass er kein dokumentarisches Bild liefern musste und bei der Konzeption und Gestaltung freie Hand hatte. Weil zuvor andere berühmte Maler abgewinkt hatten und die Zeit drängte, wurde ihm beides zugestanden. Tübke arbeitete zwischen 1979 und 1989 an dem 14 Meter hohen und 123 Meter langen Panorama, das über dreitausend Figuren zeigt.
Am 14. September 1989, zu Müntzers angeblichem 500. Geburtstag, wurde es der Öffentlichkeit übergeben – zwei Monate, bevor eine andere Volksbewegung auf die Straßen von Sachsen und Thüringen strömte. Diesmal ging es ohne Blutvergießen ab. Vielen Betrachtern wurde Werner Tübkes Gemälde zu einer Allegorie auf das Ende alle Imperien, die sich für allmächtig und ewig halten. Denn der Leipziger Maler hat nicht, wie von seinen Auftraggebern gewünscht, die »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« dargestellt, sondern eine Apokalypse der ersten proletarischen Revolution, deren Folgen von 1525 über 1918 und 1933 bis ins Jahr 1989 reichen. Auch deshalb wirkt es in seinem magischen Realismus bis heute ebenso gegenwärtig wie zeitlos.
Und es erinnert an eine Mahnung, die Walter Benjamin schon 1940 in seinen Thesen »Über den Begriff der Geschichte« formuliert hat: »Dem historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt. Diese Gefahr droht sowohl dem Bestand der Tradition wie ihren Empfängern. Für beide ist sie ein und dieselbe: sich zum Werkzeug der herrschenden Klasse herzugeben. (…) Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.«
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Holger Teschke arbeitet als Autor und Regisseur und konnte die Arbeit Werner Tübkes zwischen 1980 und 1981 durch die im Panorama-Museum vorab ausgestellten Skizzen und Vorarbeiten zum Gemälde in Bad Frankenhausen verfolgen. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 13. März 2025 zum 100. Geburtstag von Inge Müller: »Sieh was ist. Frag wie es kam«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (15. Mai 2025 um 11:05 Uhr)Es wäre ein Wunder gewesen, wäre Holger Teschkes Artikel über Thomas Müntzer und den Deutschen Bauernkrieg ohne einen Tritt gegen den Umgang der DDR mit diesem Teil des historischen Erbes geblieben. Auf die naheliegende Frage, wie diese Rezeption zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik Deutschland ablief und ob beides vielleicht miteinander zu tun hat, ist der Autor leider nicht gestoßen. Vielleicht sollte er sich beim Nachdenken nicht nur links am Kopf kratzen. Rechts täte es auch not.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus W. aus Leipzig (15. Mai 2025 um 07:27 Uhr)Kleiner Zusatz: die Bronzesäule in Mühlhausen ist vom Künstler Timm Kregel nach der Skizze von Albrecht Dürer. Streng genommen keine Replik, da es nie ein Original von Dürer gab. Trotzdem eine schöne Zusammenfassung und wieder Neues, mir noch nicht bekanntes um die Bauernkriege.
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