Sieben Jahre Drama
Von André Dahlmeyer
Aus, aus, das Spiel ist aus! Als der Spandauer Strafverteidiger und Schiedsrichter Max Burda um Punkt 22.25 Uhr ohne Nachspielzeit abpfiff, gab es kein Halten mehr im Hamburger Volksparkstadion. Die Massen stürmten den Platz. Die schönste Fanchoreographie seit Menschengedenken. Pure positive Emotion. Es war anders als an jenem traumatischen 12. Mai 2018, als der HSV als letztes Team der ersten Spielzeit 1963/64, das nie aus der Bundesliga abgestiegen war, eben das tat.
Der Abstieg war die logische Konsequenz institutioneller Exzesse. Ein erfolgreicher Gang zum Schafott. Im Stadion tobte ein wütender Mob. Schwarze Rauchfahnen allerorten. »Wir sind Hamburg, ihr seid Abschaum!« brüllten vermeintliche Anhänger mit durchaus üppigem Salär, sogenannte Halbschuhtouristen (siehe Chaostage), ihren Kickern in die Fressen. Irrlichternde Glut. Die Bilder gingen um die Welt, beschädigten das Ansehen Deutschlands.
Der HSV galt als Bundesliga-Dino, weil Erzrivale FC Bayern München kein Gründungsmitglied derselben war. Der kam erst 1965 dazu und hat die Erfahrung eines Abstiegs aus der Bundesliga nie machen müssen. Auch Bayer Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim, Augsburg, RB Leipzig, Union Berlin, Heidenheim und Holstein Kiel sind noch nie abgestiegen, auch sie kamen, teils deutlich später, dazu. Die ewige Präsenz des HSV in der ersten Bundesliga wurde vom Verein ausgeschlachtet, man erinnert sich an die laufende Uhr auf der Vereinswebseite. Früher gab es eine Postkarte im Nanunana-Doofgeschenkeshop, auf der ein rauchender Dinosaurier zu sehen war. Darunter stand: Deshalb sind sie ausgestorben. Am Sonnabend war der Rauch im Hamburger Tempel nicht mehr schwarz, es war alles blau, wie der Himmel. Wie die Hölle. Ganz anders als im Vatikan. Schon Stunden vor dem eigentlichen Eintritt wurde den HSV-Fans Einlass gewährt, man wollte das Schlimmste vermeiden. Selbst der SPD-Bürgermeister mandelte sich zum HSVer auf, wollte präventiv Punkte sammeln fürs spätere Aufstiegsfoto. Sie sind so leicht zu durchschauen, die Politluden.
Die HSV-Fans waren heiß wie Frittenfett. Sie wussten, das wird der Tag. Einziger Zweifel: Aal gegen die Aufregung oder Barsch zur Beruhigung. Noch am Donnerstag hatte sich HSV-Trainer Merlin Polzin an die Kraken des HSV gewandt: »Ich möchte ein Spiel in der Lautstärke, wie es der Volkspark noch nicht erlebt hat.« So wie ich traute er aber den Ulmern so gar nicht über den Weg. Denen nützte nur ein Dreier, um den Klassenerhalt vielleicht doch noch zu erreichen. Das machte die gefährlich. Sie hatten nichts zu verlieren. Der HSV fast alles. Der Hinkampf im Donaustadion war ein Einserremis, dem HSV war in der ersten Halbzeit kein einziger Torschuss gelungen, ein Novum.
Was soll’s. Der Dino lebt wieder. Und der HSV hat die zweite Liga im Ausland attraktiv gemacht. Seit Monaten werden alle Spiele der Rothosen international übertragen, auf Fox Sports zum Beispiel im Weltmeisterland Argentinien. Hastenichjesehn. Kein Wunder, der HSV hat mehr Zuschauer als Manchester City. Für die Partie gegen SSV Ulm gab es 550.000 Kartenvorbestellungen, die Schwarzmarktpreise stiegen bis zum Exzess. Hallo, Bayern, winke, winke.
Nie wieder Frühjahr. Da kackte der HSV in der Regel ab. Beim 1. FC Köln ist es der Karneval. Das sind Gepflogenheiten. Unvergessen beim HSV der verfrühte Platzsturm beim SV Sandhausen, ein Tor von Heidenheim in der 8. Minute der Verlängerung kam dazwischen. Und der Chileno Marcelo Díaz, der den HSV mit einem Last-Minute-Freistoßtor gegen den KSC vor dem Abstieg bewahrte. Das sind Geschichten. Von einem Verein, der 120.000 Mitglieder hat und einen Zweitligadurchschnitt von 56.300 Zuguckern. Der Trainer, ein Kind der Nordtribühne! Selbst beim Kicker schwelgen sie, obgleich da ein Sebastian Wolff schwadroniert, der HSV habe »in seiner ruhmreichen Geschichte national wie international sämtliche Titel gewonnen und rational betrachtet deutlich größere Abende als jenen des 10. Mai 2025 erlebt«. Und dass Augsburg und Mainz »einen Vorsprung« vor den Rothosen hätten. Diesem Menschen ist nicht zu helfen. Der HSV hat nie den UEFA-Pokal gewonnen. Augsburg und Mainz existieren nicht. Wer braucht solche Faststädte in der Bundesliga?
Lieber Sebastian, Uwe Seeler streichelt mir meinen Dez. Er sagt: Nie wieder Häme oder Spott auffen Vaein. Genau so soll es sein. Für immer und immer. Nie mehr zwote Liga. Boxer kommen immer wieder zurück, werden aber auch nicht jünger. Und am Sonnabend sind unsere Chicas wieder aufgestiegen, nach 13 Jahren!
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Leserbrief von Michael Voge aus Oberpleitemetropole Oberhausen (12. Mai 2025 um 09:32 Uhr)Speziell den Jüngeren sei erzählt, dass die Achter-Klatschen, die der HSV sich gegen diese Südlichen abholte, nicht das Erweckungserlebnis dieser Art waren. Erwähnt werden muss das Initationserlebnis aus 1970/1971 – 8. Spieltag – 26. September 1970 – 15.30 Uhr Rot-Weiß Oberhausen 8:1 Hamburger SV. Zur gepflegten Kenntnisnahme. Ich danke Ihnen.
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