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Aus: Ausgabe vom 12.05.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Globaler Kapitalismus

Nur Konzerne werden reicher

Ein Band über die Bananenlieferkette von der Karibik nach Europa beleuchtet exemplarisch Ausbeutung auf See und in den Häfen
Von Burkhard Ilschner
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Die Lieferkette wartet: Geerntete Bananen werden in Costa Rica zum Reifen aufgehängt

Lieferkettensorgfaltspflicht – im vergangenen Jahr schien es noch so, als rückten wirksame Regeln in Deutschland und Europa in greifbare Nähe. Momentan sieht es nicht mehr danach aus. Eine durchgängige Schwäche dieser Debatten war und ist, dass zwei wesentliche Kettenglieder fast immer unbeachtet geblieben sind: der Seetransport und der Hafenumschlag. Das vorliegende Buch unternimmt einen thematisch begrenzten Versuch, dies zu ändern. Christoph Scherrer, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, und Ismail Doga Karatepe, dortselbst ausgebildet und aktuell an der türkischen Universität Muğla tätig, haben es im Herbst 2024 vorgelegt: Acht Beiträge der Herausgeber sowie je einer aus Kolumbien und Costa Rica untersuchen am Beispiel des Bananenhandels dessen Lieferketten – beschränken sich aber ausdrücklich auf die beiden genannten maritimen Kettenglieder.

Dem Buch liegt eine wissenschaftliche Studie zugrunde, es ist (mit Blick auf Förderrichtlinien?) thematisch stark fokussiert. Das macht es schwer lesbar. Was sich unter anderem am Beispiel »Banane« aufzeigen lässt: Man habe die Bananenlieferkette zwischen Karibik und Nordwesteuropa als Fallbeispiel gewählt, heißt es, weil »insbesondere« hier »die unterschiedlichen Durchsetzungspfade der neoliberalen Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen aufgezeigt werden« könnten. Aha!? Eine Erläuterung, was die Hafen- und Seearbeit im Bananenhandel etwa von der im Getreidemassenguttransport oder in den euro-asiatischen Containerlieferketten maßgeblich unterscheidet, fehlt.

Dabei stellt man schnell fest, dass die Verhältnisse sowohl in den untersuchten Häfen als auch an Bord dem sehr ähneln, was man über andere Transportketten liest: Es gelten überwiegend dieselben Normen und Regeln, international wie lokal, Häfen werden privatisiert, Schiffe ausgeflaggt, Menschen ausgebeutet – und Hafen- wie Reedereikonzerne werden reicher. Ja, die besondere Behandlung der Bananen ist spannend und aufschlussreich – aber vergleichbare Besonderheiten weisen auch andere Transportketten auf.

Eingangs wird kurz das Entstehen der zugrunde liegenden Studie erläutert, dann folgt ein Überblick über die allgemeine Entwicklung der Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen. Diese komprimierte Darstellung ist hilfreich für das Verständnis, zumal hier schon auf diverse Defizite etwa in Normierung und Beachtung von Arbeitsschutzregeln hingewiesen wird. Nach einer Einführung in Strukturen des Bananenhandels und seiner Lieferketten, exemplarisch fokussiert auf Costa Rica und Kolumbien, folgen zwei äußerst aufschlussreiche Abschnitte über die Arbeit zum einen in den kolumbianischen Häfen Santa Marta und Turbo, zum anderen im Hafen von Moín im costaricanischen Límon – hier dürfte auch, wer sich mit maritimer Wirtschaft auskennt, sehr viel Neues entdecken.

Allerdings nicht unbedingt Schönes: Neben vielen Daten geht es hier unter anderem um Verstrickungen mit Drogenkartellen oder Auseinandersetzungen mit beziehungsweise bei Guerillagruppen, um gewerkschaftliche Kämpfe und Privatisierungen, um Machtverhältnisse zwischen Hafenbetreibern und staatlichen Strukturen. Und eben um Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit. Trotz der Probleme beim Zugang zu den Häfen wirkt es etwas befremdlich, dass die Studie sich nur auf sehr wenige (15 bis 20) Befragte stützt.

Im zweiten Teil geht es um die Zielhäfen des Bananenhandels, exemplarisch ausgewählt wurden Antwerpen, Vlissingen und Hamburg; anschließend um das Arbeiten auf See und schließlich um die »Schlüsselakteure der Schiffahrtsindustrie« – vor allem um diejenigen, die von besagten Arbeitsbedingungen, ungeregelten Verhältnissen oder Privatisierung öffentlicher Logistik profitieren. Auch hier findet sich in der Vielfalt von Daten und Fakten etliches, was höchstens Experten bekannt sein dürfte, also durchaus das Prädikat »spannend« verdient. Allerdings stützt sich gerade dieses Kapitel überwiegend auf Zahlen aus den Jahren 2019 bis 2022. Angesichts der turbulenten Entwicklungen in der Schifffahrt sind daher manche Daten überholt.

Angesichts der schon erwähnten Hindernisse bei den Recherchen für die Studie – Zugangsblockaden seitens Verantwortlicher, existenzielle Ängste befragter Betroffener – verdient das vorliegende Resultat zunächst einmal hohen Respekt. Kenner der Verhältnisse dürften wenig überrascht sein, denn in der maritimen Wirtschaft achtet man gerne auf Undurchschaubarkeit von Strukturen und Verantwortlichkeiten.

Aber, das wurde bereits angerissen, dieses Buch ist kein einfacher Lesestoff. Allzu oft mixen die Autoren hintergründige oder historische Details etwa mit konzeptionellen Erläuterungen ihrer Vorgehensweise und zugleich mit Befragungs- oder Ergebnisdaten. Das macht das Lesen mindestens ebenso anstrengend wie die ständigen lesehemmenden Gendersternchen. Auch werden Zusammenhänge mitunter so verkürzt, dass Kenner stutzen und Laien Hintergründe vorenthalten bleiben. Dafür seien hier abschließend nur zwei Beispiele genannt: Zur Beurteilung der Arbeit auf See wurden von »mehr als einer Million« global beschäftigter Seeleute ganze 50 befragt. Eine Initiative wie der »Seafarers Happiness Index«, an dem sich jährlich mehr als 30.000 Seeleute beteiligen, bleibt ebenso unerwähnt wie etwa das seit 2017 hierzulande existierende Forum »Fair übers Meer«, in dem sich zivilgesellschaftliche Initiativen gemeinsam gegen Ausflaggung und Ausbeutung auf See engagieren.

Christoph Scherrer, Ismail D. Karatepe (Hrsg.): Arbeit in der Lieferkette. Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen. VSA, Hamburg 2024, 192 Seiten, 18,80 Euro

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