Der Dreck ist weg
Von Thomas Salter
Im August 1973 fanden in New York zwei scheinbar nicht verwandte Veranstaltungen statt, die beide einen tiefen Einschnitt in der afroamerikanischen Popkultur bedeuten sollten: Am 11. August schmiss DJ Kool Herc in der Bronx seine legendäre Blockparty, die als Gründungsstunde des HipHop gilt, und am 17. August feierte der Kung-Fu-Film »Enter the Dragon« mit Bruce Lee im Brooklyner Loew’s Oriental Theatre und drei weiteren Kinos Premiere und löste einen US-Boom für Kampfsportfilme aus. 20 Jahre später, 1993, vereinten sich die davon ausgehenden Traditionslinien in einem der größten Rap-Alben der Geschichte, dem in Hommage an den Bruce-Lee-Film betitelten »Enter the Wu-Tang« der New Yorker Gruppe Wu-Tang Clan, ein seltsam großartiges Werk kulturellen Synkretismus: Neun New Yorker MCs, die über übersteuerte Beats voller Kung-Fu-Film-Samples das Ghettoleben in eine wilde Metaphorik aus Schwertkampf, Schach und »5 Percenter«-Zahlenmystik verpacken, einer Art afrodiasporischer Kabbala.
Der Name Wu-Tang Clan bezog sich auf den Film »Shaolin vs. Wu-Tang« (1983) über die zwei konkurrierenden chinesischen Kampfsporttraditionen, den Stadtteil Staten Island wiederum, aus dem die meisten Mitglieder stammten, nannten die Rapper verwirrenderweise Shaolin.
Vor kurzem haben die verbliebenen Großmeister – Gründungsmitglied Ol’ Dirty Bastard starb 2004 zwei Tage vor seinem 36ten Geburtstag an einer Überdosis – mit »Black Samson, the Bastard Swordsman« ihr achtes Studioalbum rausgebracht – und die Platte erinnert erstens daran, wie viel weiter die Verbindung von Kung Fu und afroamerikanischer Kultur zurückgeht. Zweitens legt sie die veränderten technischen Umstände offen, die dafür verantwortlich sind, dass dieselben musikalischen Moves nicht mehr so sitzen wie früher.
Der Albumtitel ist eine Referenz auf den Film »Black Samson« (1974), ein Klassiker des »Blaxploitation«-Genres, eine Epoche, als das kriselnde Hollywood die innerstädtischen Afroamerikaner als neuen Absatzmarkt ausmachten. Die günstig produzierten Streifen mit schwarzen Held*innen, z. B. »Shaft« (1971) oder »Coffy« (1973), wurden oft im Doppelpack mit Kung-Fu-Filmen aus Hong Kong gezeigt, die mit ihren Erzählungen von Widerstand gegen dynastische Unterdrückung großen Anklang fanden – auch bei dem jungen Robert Diggs, der später unter dem Namen RZA der Mastermind des Wu-Tang Clans werden sollte.
Die meisten Songtitel auf »Black Samson, the Bastard Swordsman« sind direkt von solchen Filmen übernommen, sei es aus dem Kung-Fu-Genre, etwa »Shaolin vs Lama« (1983), »Executioners from Shaolin« (1977) oder dem Blaxploitation-Genre, etwa »Cleopatra Jones« (1973) und »Dolemite« (1975). Der erste volle Song jedoch, »Mandingo«, hat zwar scheinbar die Wu-Tang-typischen Actionfilmsamples, diese Sprachfetzen kommen jedoch aus keinen bekannten Kung-Fu-Streifen, auch nicht aus dem gleichnamigen Sklavereifilm von 1975. Sie scheinen extra für den Track produziert zu sein, vielleicht – wie das Musikvideo zum Song – mit künstlicher Intelligenz.
Und auch wenn etwa Method Mans Part auf dem Lied ein Highlight der MC-Kunst ist – in 16 Lines reimt er 14mal dieselbe Doppelsilbe (etwa »steady«, »petty«, »confetti«, und was später noch wichtig sein wird: »Shkreli«). Insgesamt ist der Track wie die elf anderen auf der Platte jedoch etwas brav. Und ähnlich wie bei dem KI-generierten Musikvideo (Kung Fu, natürlich) sind die Gründe dafür vor allem technische.
Für den klassischen Wu-Tang-Style von Tracks wie »Bring da Ruckus« (etwa: Bring den Krawall) musste RZA 1993 auf eine günstige Peavy-Mixing-Konsole mit einem Ensoniq-EPS-16-plus-Sampler und einem einzelnen AKG-C414-EB-Mikrofon zurückgreifen, in einem winzigen Studio, in dem die neun MCs kaum Platz hatten. Die notdürftig montierten Soundcollagen warfen jede Liedform über den Haufen, die Stimmen waren so roh, dass die aggressive Aufregung sich bis in jedes Jugendzimmer der Welt übersetzte. Diesen Dreck findet man auf dem neuen Album nur noch in RZAs eigenen wunderbar heiseren Raps, etwa »Roar of the Lion«.
Der Mangel an Dreck ist nicht zuletzt der Abwesenheit von Ol’ Dirty Bastard geschuldet, der nicht nur musikalisch den Ruckus brachte – mit seiner Mischung aus dadaistischen Sex- und Partyreimen und Gesang mit übertriebenem Vibrato –, sondern auch mit seinen zahlreichen betrunkenen, narkotisierten öffentlichen Auftritten. Etwa als er bei den Grammys 1998 die Bühne stürmte, um das Unterliegen des Clans gegen Puff Daddy zu monieren: Schließlich habe er für sein Outfit viel Geld ausgegeben, und Wu-Tang sei »for the children«, für die Kinder. Sicher waren damit seine 13 eigenen von sechs Frauen mitgemeint.
In den folgenden Jahren verschwand Dirtys Stimme immer mehr von den Alben, er selbst nach zahlreichen Drogendelikten im Knast, wurde danach nicht cleaner, sondern immer dreckiger. RZA hingegen polierte seine technischen Fähigkeiten auf, machte Soundtracks für Quentin Tarantino (»Kill Bill« 1 und 2, 2003/2004) und baute den Clan vollends zu einem innovativen Musikimperium aus. Der Höhepunkt dieser kulturindustriellen Metamorphose: Das siebte Album »Once Upon a Time in Shaolin« (2015), das als Unikat produziert und für zwei Millionen Dollar an den später als Betrüger entlarvten Hedgefondmanager Martin Shkreli versteigert wurde.
Daran erinnert Method Man in oben erwähntem »Mandingo«, wenn er auf »And beyond contrary, lot of paper gettin’ dropped, confetti« »Once upon a time, this is not like Shkreli« reimt. Meth, der inzwischen erfolgreicher Schauspieler ist (nein, keine Kung-Fu-Filme, sondern z. B. die Kultserie »The Wire«) machte in Interviews keinen Hehl daraus, dass er kein Freund des Shkreli-Deals war. Aber als loyales Clan-Mitglied würde er seine Schwertbrüder, mit denen er sich aus Shaolin herausgekämpft hat, nie im Stich lassen.
Wu-Tang Clan: »Black Samson, the Bastard Swordsman« (Ruff Nation Music)
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