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Aus: Ausgabe vom 10.05.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Russlands Narrativagenten

Von Arnold Schölzel
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Am 9. Mai 1955 fand im Bonner Bundestag eine Feierstunde zum Eintritt der BRD in die NATO statt. Daran erinnerte FAZ-Mitherausgeber Berthold Kohler am 28. April, dem Tag, an dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Brüsseler NATO-Hauptquartier eine Kriegsrede hielt. Die lag der FAZ vorab vor, und Kohler schrieb zum Mitgliedsjubiläum: »Daran am 9. Mai zu erinnern, wäre ein guter Kontrapunkt zu Putins Parade in Moskau gewesen. Doch ist auch die vorgezogene Veranstaltung an diesem Montag ein Symbol: Feiern kann man nur, solange man noch etwas zum Feiern hat.«

Laut Kohler macht nämlich neben Putin Donald Trump gerade Weltgeschichte. Der habe »geradezu die Seiten gewechselt«. Was ihm die Kohlersche Schimpfkanonade einbringt: »kalkulierter Epochenbruch«, »das Band der Werte, das den Westen über den Atlantik hinweg zusammenhielt, wird immer dünner«, »wie für Putin zählt auch für Trump nur das Recht des Stärkeren« etc. Nur ein Mann steht noch: Kohler, der befiehlt: »Die Festung Europa aber braucht zum Schutz vor dem Moskauer Eroberungsdrang wie vor siebzig Jahren deutsche Soldaten.« Der Zeitungsgeneral hätte auch neunzig oder achtzig schreiben können. Da aber der Weltkriegsdrang des deutschen Kapitals aus Gründen, die in der FAZ niemand kennt, schon zweimal gestoppt wurde und völlig überraschend eine militärische Niederlage, die niemand im unbesiegbaren Deutschland auf dem Zettel hatte, eintrat, ist auch der Dolchstoßer aus Amiland ein Mysterium: »Trumps grundsätzlicher Neigung, seinem Moskauer Bruder im Geiste zu glauben und ihm unfassbare Zugeständnisse zu machen, dürfen die Europäer sich nicht hingeben.« Die Welt ist voller Rätsel.

Immerhin: Am 8. Mai folgten Julia Klöckner und Steinmeier im Bundestag der Marschorder Kohlers: Krieg gegen Russland. Im FAZ-Leitartikel hatte Redakteur Reinhard Müller als Stimme seines Herausgeberherrn Kohler den Kampfgeist vorgegeben: »Das unfassbare Terrorregime, das auch die eigenen Staatsbürger systematisch in den Tod schickte, endete abrupt, wurde im Osten allerdings durch eine andere Gewaltherrschaft ersetzt.« Denn die Errichtung einer faschistischen Diktatur durch I. G. Farben, Krupp, Deutsche Bank, Reichswehr und einen Staatsapparat, der zum Beispiel mit einem Rassekundler wie Hans Josef Maria Globke bereits ausgestattet war, ist in Frankfurt am Main und rundherum ein einziges Rätsel.

Seit 1945 ist westwärts bekannt: Faschismusforschung ist kommunistische Propaganda und die Frage nach Interessen und Kriegszielen führt schnurstracks in eine andere Gewaltherrschaft mit Bankenenteignungen und sogar Verurteilung von I.-G.-Farben-Managern wegen Auschwitz-Monowitz. Müller daher: »Dass in den ersten Jahren und Jahrzehnten der Blick zurück, die Beschäftigung mit der eigenen Schuld nicht besonders ausgeprägt war, kann nicht verwundern. Der Blick richtete sich nach vorn. Später konnte oder wollte man nicht wahrhaben, woran man in diesen zwölf Jahren Anteil hatte.« Da war Globke nicht mehr höchster BRD-Beamter, waren die Nachfolgekonzerne der I. G. Farben und die Deutsche Bank größer denn je. Die ganze Feierchose im Bundestag und anderswo ist undeutsch: »Jedes Land mag seinen Sieg über Hitler-Deutschland für sich feiern. Deutschland sollte aber nicht, auch wenn das einige Bundesländer schon getan haben, das russische Narrativ von der Befreiung weiterspinnen, das aktuell in der Ukraine, die Moskau von ›Nazis‹ zu befreien vorgibt, als Rechtfertigung eines mörderischen Krieges dient.«

Was zu beweisen war: Wer »Befreiung« sagt, ist russischer Narrativagent. Und der nächste deutsche Krieg wird im Gegensatz zum russischen nicht mörderisch sein.

Wer »Befreiung« sagt, ist russischer Narrativagent. Und der nächste deutsche Krieg wird im Gegensatz zum russischen nicht mörderisch sein.

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