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Aus: Ausgabe vom 10.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Pubertät im Pyrozän

In Fiona Sironic’ Debütroman sterben Tierarten aus, und der Mensch schmeißt sich hinterher
Von Ken Merten
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Hat früher Geschichten vermisst: Fiona Sironic

Das Schreckliche am Weltuntergang ist, dass man vorab noch mit billigen Dystopien belästigt wird und Tode vor dem Tod stirbt. Steigende Tiden voll dümmlichster Klimathriller. Die ganze Welt sehnt sich nach Frieden.

Die ganze? Nein: »Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft«, so der viel verratende Titel von Fiona Sironic’ Debütroman. Eine Coming-of-Age-Literatur, die die Adoleszenz in der Apokalypse verhandelt: Ich-Erzählerin Era – als Epochenfigur nominal markiert – folgt den Pyromaninnen übers Internet. Dort darf man ihnen zusehen, wie sie größer werden, sich radikalisieren: Aus Cola und Mentos werden Datenträger und Sprengstoff. Maja und Merle heißen die beiden Zerstörungskünstlerinnen, ihre Profession beruht auf einer Rebellion gegen das Elternhaus. Dem stehen ihre beiden Mütter vor, die als Influencerinnen das Familienleben medial auswalzen. Dafür leben sie in einer vom Klimawandel stark gezeichneten nahen Zukunft in relativem Wohlstand: Alkohol und Fleisch sind zu feierlichen Anlässen drin, derweil Era mit ihrer Mutter – einer Universitätsangestellten, die zum Content ebenjener Momfluencerinnen forscht und als Wissenschaftlerin entsprechend mickrig vergütet wird – sich von Instantpulver ernähren und regelmäßig um ihre winzige Bleibe fürchten müssen, wenn mal wieder der Wald in Brand gerät.

Möchte man das verhindern, läge es nahe, nicht dort rumzuknallen – eine Reibefläche, wenn Era und Maja einander näherkommen. Denn irgendwer ist verantwortlich zu machen für das viele Unglück: »Wer sich nie entschuldigt, das sind die, die uns, Mama und mir, was schulden. Ungläubige Beamt*innen schauen meine Mama an und sagen solche Sachen, sie sagen: ›Aber was dachten Sie denn, was passieren würde?‹ – ›Warum haben Sie sich denn nicht schon viel früher eine andere Wohnung gesucht?‹ – ›Gerade als Mutter. Wissen Sie, so eine Fahrlässigkeit, das verstehe ich einfach nicht.‹ Und das Schlimme ist, dass es zwei Antworten gibt, die mir eigentlich sehr einfach vorkommen. Und dass Geld zwar eine davon ist, aber eben nicht die einzige. Es ging schon auch ums Zu-Hause-Sein.«

Dem NDR gegenüber gab die 1995 in Neuss geborene Sironic an, sie habe beim Aufwachsen Geschichten vermisst, »in denen weibliche Wut als etwas porträtiert wird, das auch Dinge verändern kann«. Männer sind im Roman meist Wesen der Vergangenheit, etwa Eras Großvater, der ungesund viel trank und von den steigenden Temperaturen des »Pyrozäns« erschlagen wurde. Ein so abwesender wie nachwirkender Allerweltsvertreter instrumenteller Vernunft, der nicht mitschnitt, wie das kippte, zu dem er gehörte: »Opa hat aber nicht an Gott geglaubt. Nur an Konservierungsstoffe.«

Alles geht krachen, Tierarten sterben aus, und der Mensch schmeißt sich hinterher. Ende Gelände. So einfach ist nichts, auch nicht das Finale zu haben. Das Abpellen zu einfacher Denkmuster und zu grober Mittel der Erkenntnis ist guter Jugendliteratur eigen. Humor hilft, weil es dafür Verständnis braucht, weit mehr, als es braucht, um zu erschrecken.

Und so weiß man, um welche Zustände es geht, wenn eine gegen das Aussterben nicht mehr rebellierende Jugendbewegung in Fiona Sironic’ Roman das Kaputtmachen eines eh schon kaputten Sozialsystems in die eigenen Hände nimmt und damit darauf verweist, was lange schon nicht stimmt: »Die Schule jedenfalls wird verriegelt. So richtig, nicht nur Flatterband. Was wäre das denn, wenn plötzlich eine Gruppe jugendlicher Vandal*innen die jahrzehntealten Monitore zerdeppert?«

Fiona Sironic: Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft, Ecco-Verlag, Hamburg 2025, 208 Seiten, 23 Euro

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