Am Namen erkennen
Von Daniel Bratanovic
Nicht die Buchmacher und schon gar nicht die Experten lagen richtig. Die Sixtinische Kapelle bleibt, solange das Konklave tagt, eine Blackbox. Die Welt hat einen neuen Papst, den kaum einer auf dem Zettel hatte. Wer ist der Mann? Robert Prevost, liest man jetzt allenthalben, sei Pragmatiker, Brückenbauer, Mann der Mitte, gleichermaßen geschätzt von Reformern wie Konservativen. Sehr viel mehr lässt sich nicht in Erfahrung bringen, die liberale Zeit immerhin glaubt zu wissen, Prevost stehe »so weit ›links‹, er ist so liberal, dass bis zuletzt kaum ein Vatikanist glaubte, das Kardinalskollegium könnte sich auf einen wie ihn einigen«. Der Glaube versetzt Berge.
Wo keine verkündete Agenda vorliegt, helfen andere Anhaltspunkte womöglich weiter. An ihrem Namen sollt ihr sie erkennen! Der neue Pontifex Maximus heißt Leo XIV. Der Hinweis auf namensgleichen Vorgänger darf als eine Art verdeckte Regierungserklärung gelten. In der Kirchenhistorie auffällig geworden sind im 5. Jahrhundert Leo I., der während des Untergangs des weströmischen Reichs den römischen Primatsanspruch gegenüber den anderen Bischöfen festigte, und mit Leo X. im frühen 16. Jahrhundert ein prunksüchtiger, der Völlerei verfallener Medici, der als Gegenspieler Luthers auftrat. Sollten das die historischen Vorbilder sein?
Näherliegend ist Leo XIII., der von 1878 bis 1903 der Kurie vorstand. Leo XIII. ist derjenige Papst, der den gegen Bismarck mit äußerst harten Bandagen ausgefochtenen Kulturkampf seines Vorgängers beendete und bisweilen als »Arbeiterpapst« geführt wird. Der Titel wiederum verdankt sich seiner Enzyklika »Rerum Novarum« aus dem Jahr 1891. Mit diesem päpstlichen Rundschreiben, das »von den neuen Dingen« handelte, verhielt sich Leo XIII. zum vom entfesselten Kapitalismus gänzlich umgekrempelten Sozialgefüge und gab an, was das für seine Kirche nun bedeutete. Die Enzyklika gilt als zentrales Dokument der katholischen Soziallehre und war im wesentlichen – Sozialismus bedeute »Zerstörung des gesellschaftlichen Lebens« – eine Kampfansage an die damalige Arbeiterbewegung. Deren Stärke ließ Leo XIII. seinerzeit das Arrangement mit den zuvor noch auf das äußerste bekämpften bürgerlichen Nationalstaaten in Europa suchen. Sein Pontifikat war ein eminent politisches.
Wenngleich ihm vor einer Arbeiterbewegung, die sich anschickte, den Sozialismus zu ertrotzen, derzeit nicht bange sein muss, wird nun ähnliches über die Amtszeit Leos XIV. spekuliert. Als Indiz gilt sein liturgischer Gruß »Der Friede sei mit euch« am Anfang seiner ersten öffentlichen Rede als Papst.
Ob sich daran ernsthafte Hoffnungen an reale Friedensinitiativen knüpfen, ob Leo XIV. ein Reformprogramm verfolgt oder einen Konservatismus strenger Observanz verficht, ändert eines nicht: Die katholische Kirche bleibt die katholische Kirche, sie widersteht jeder grundsätzlichen Veränderung ihrer Herrschaftsform.
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Leserbrief von Eberhard Licht aus Berlin - Mitte (10. Mai 2025 um 19:02 Uhr)»Die katholische Kirche bleibt die katholische Kirche, sie widersteht jeder grundsätzlichen Veränderung ihrer Herrschaftsform.« Dieser Satz am Ende des Beitrages gilt genauso für den Kapitalismus. Er widersteht auch jeder grundsätzlichen Veränderung der Herrschaftsform. So wenig erfolgreich es wäre, wenn Gemeinden beginnen, sich ohne Hierarchie, Sakramentenmonopol und Kirchensteuer selbst zu organisieren – im Geiste der Bergpredigt, der Fußwaschung und des Teilens –, so wenig erfolgreich ist es auch für das Ende des Kapitalismus, wenn sich einzelne Kooperativen bilden, die versuchen, nachhaltig zu wirtschaften. Vor allem ist das kapitalistische System dann gezwungen, das Wachstum auf andere Weise zu generieren, um Sozialleistungen und Renten zu sichern. Wir sehen, was heute passiert: Es wird ein Feindbild geschaffen, um Milliarden für Aufrüstung locker zu machen, die das Wirtschaftswachstum sichern sollen. Das Finanzsystem schöpft sein Geld aus der bezahlten Arbeit. Das ist die einzige Quelle des Profits und der Kapitalakkumulation. Dort müssen wir ansetzen. Wir müssen die Arbeit vom Geld befreien. Das wäre eine Aufgabe für eine global vereinigte Linke, und wir sollten uns als gemeinsames Ziel ruhig wieder dem Übergang zur klassenlosen Gesellschaft zuwenden. Die Voraussetzungen – hoher Stand von Wissenschaft und Technik sowie Überfluss in der heutigen Wegwerfgesellschaft – sind da.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Lothar Z. aus Hamburg (9. Mai 2025 um 23:18 Uhr)Bratanovic gibt an, dass das Rundschreiben Leos XIII. »Rerum Novarum« »von den neuen Dingen« handelte. Diese Übersetzung ist jedoch verharmlosend, denn ein italienischer Papst wie Leo XIII. wird sicher genug (Alt-)Latein gekonnt haben, dass er wusste, dass »rerum novarum cupidum esse« bedeutete: »eine revolutionäre Überzeugung haben«. (Das klassische Beispiel hierfür ist der Verschwörer Catilina, den Cicero in seinen Reden heftig bekämpfte.) Diese Übersetzung macht auch verständlich, dass die Enzyklika »Rerum Novarum« »eine Kampfansage an die damalige Arbeiterbewegung« war. Lothar Zieske
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