Merz muss widersprechen
Von Kristian Stemmler
Nach seinen Besuchen in Frankreich und Polen absolvierte der neue Bundeskanzler Friedrich Merz am Freitag seinen Antrittsbesuch in Brüssel, um sich dort mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (beide CDU) und NATO-Generalsekretär Mark Rutte zu treffen. Die beiden Reisen zu Beginn seiner Amtszeit wollte Merz als europapolitisches Zeichen verstanden wissen. Doch zunächst sah er sich in der belgischen Hauptstadt zu einem Dementi genötigt. Die Bundesregierung habe keineswegs eine »nationale Notlage« ausgerufen, um Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Grenzen zu ermöglichen, versicherte er. Es habe »einige Irritationen gegeben«.
An den Grenzen werde jetzt »intensiver« kontrolliert, »in etwa so wie während der Fußballeuropameisterschaft im letzten Jahr«, bei den Zurückweisungen gebe es aber »keinen deutschen Alleingang«, betonte Merz. Die Nachbarstaaten würden »vollumfänglich informiert«. Nicht ganz unschuldig an jenen »Irritationen« waren sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und das seit Mittwoch ihm unterstellte Ressort. Schon bei seiner Ankündigung schärferer Grenzkontrollen an Dobrindts erstem Tag im Amt hatte der Minister auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verwiesen. Dieser sieht vor, dass für die »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit« von EU-Recht abgewichen werden kann. Der Begriff »Notlage« kommt in dem Artikel allerdings nicht vor.
»Irritiert« haben dürfte auch die Springerpresse mit ihrem Beitrag vom Donnerstag nachmittag, als Welt unter der Überschrift »Merz lässt nationale Notlage ausrufen« kolportierte, der Kanzler wolle »den Artikel 72 aktivieren«. Nach Informationen des Blattes seien die Botschafter der Nachbarstaaten bei einem Treffen im Innenministerium über dieses Vorgehen informiert worden. Noch am Donnerstag wies Regierungssprecher Stefan Kornelius den Bericht zurück. »Der Bundeskanzler setzt keinen nationalen Notstand in Kraft«, sagte er gegenüber AFP.
Mit seinen Erklärungen im ZDF-Talk »Maybrit Illner« am Donnerstag abend steigerte Dobrindt die »Verwirrung« eher noch. Er schließe die Aktivierung des Artikels 72 nicht aus, sagte er. Um das schärfere Vorgehen an den Grenzen umzusetzen, sei »Paragraph 18 der einschlägige im Asylgesetz, den wir nutzen im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72«. Die BRD sei mit den entsprechenden Zuständigen in der EU aber »im engstem Austausch« und werde mit den Zurückweisungen so vorgehen, dass die Nachbarländer nicht überfordert würden.
In der Sendung auf eine Materialsammlung des Inlandsgeheimdienstes angesprochen, die zur Einstufung der AfD als »gesichert rechtsextremistisch« geführt hatte, sprach der Innenminister von einer neuen Qualität für eine Partei, die im Bundestag vertreten ist. Auch nach der sogenannten Stillhaltezusage des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Einstufung der AfD sehe er keinen Grund, an der Einschätzung der ihm unterstellten Behörde zu zweifeln. Der CSU-Minister werde »dieses Gutachten nicht in den Schrank stellen«. Ob und in welcher Form das offenbar mehr als 1.000 Seiten lange Papier veröffentlicht werde, wolle Dobrindt nach einer Überprüfung entscheiden.
Während Merz mit seinem Besuch bei EU und NATO Zeichen setzte, reiste der neue Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) zuerst in die Ukraine. Am Freitag nahm er an einem informellen Treffen der EU-Außenminister im westukrainischen Lwiw teil, bei dem auch sein ukrainischer Amtskollege Andrij Sibiga dabei sein sollte. Am Donnerstag abend hatte Wadephul in den ARD-»Tagesthemen« erklärt, die Bundesrepublik werde auch weiterhin zu den stärksten Unterstützern der Ukraine gehören.
Wadephul sagte, man werde leisten, »was nötig ist«, so lange, »bis Russland einsieht, dass dieser Krieg beendet werden muss, dass man an den Verhandlungstisch muss, dass man jetzt schnell auch den Waffenstillstand konsequent einhalten muss«. Der CDU-Politiker bestätigte, dass es in Lwiw um die angekündigte Einrichtung eines Sondertribunals gehen werde, vor dem sich Russland nach dem Willen der EU für das »Verbrechen der Aggression« gegen die Ukraine verantworten soll.
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