»Das war ein grob unfaires Verfahren«
Interview: Gitta Düperthal
Die kurdische Feministin und Kämpferin Vrishe Moradi wurde im November 2024 zum Tode verurteilt und ist im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Zuletzt hieß es, sie sei in akuter Lebensgefahr. Was können Sie über ihren Zustand sagen?
Es ist schwer, in der Haft im Iran Kontakt zu ihr zu bekommen: nicht nur für uns, sondern auch für ihre Anwälte und ihre Familie dort. Aber seit ihrer Verhaftung 2023 ist uns bekannt, dass sie bei Verhören mehrfach sexuell misshandelt und gefoltert wurde, um ein Geständnis von ihr zu erpressen. Damals, im August, war sie nahe ihrer Geburtsstadt Sanandadsch (kurd.: Sine, jW) festgenommen und zunächst Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens geworden.
Berichten zufolge ist Moradi von starken gesundheitlichen Problemen geplagt, auch wegen Schrapnellsplitter, die seit ihres Einsatzes bei der Verteidigung der Stadt Kobanê gegen den »Islamischen Staat«, IS, in ihrem Körper stecken.
Wir fordern, dass sie sofort medizinische Behandlung erhält. Sie hatte in Syrien als Feministin gegen die Terrormiliz gekämpft. Die Repression gegen Frauen, besonders gegen kurdische und belutschische Frauen, ist ein Ausdruck systematischer Gewalt. Im Iran hat sich Vrishe friedlich für Arbeiter- und Frauenrechte eingesetzt. Der iranische Staat unterdrückt feministische und sozialpolitische Kämpfe seit Jahren, mit besonderer Härte gegenüber kurdischen Frauen. Die derzeitige Hinrichtungswelle reiht sich in diese Repression ein.
Mit welcher Begründung verurteilte man sie zum Tode?
Das Urteil erging in einem grob unfairen Verfahren. Bei zwei entscheidenden Prozessen, die über ihre Hinrichtung bestimmten, waren weder sie noch ihre Anwältinnen und Anwälte anwesend. Erst nachträglich wurde Einblick in die Akten gewährt. Vorgeworfen wird ihr, an einer bewaffneten Rebellion beteiligt und Mitglied der PJAK (Partiya Jiyana Azade Kurdistanê, jW) zu sein – einer kurdischen Partei, die im Iran verboten ist. Obwohl ihr keine konkreten Gewaltakte oder Waffenbesitz nachgewiesen werden konnten, stufte man sie als Mitglied einer »terroristischen Vereinigung« ein. Der Vorsitzende Richter, Abolqassem Salavati, steht wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen auf der Sanktionsliste der EU. Ihre Verteidigung hat Berufung eingelegt, doch die Gefahr einer baldigen Bestätigung durch das Oberste Gericht und einer Vollstreckung des Urteils ist real.
Welche politischen Möglichkeiten eröffnet die Patenschaft von Ferat Koçak?
Wir versuchen international Aufmerksamkeit für ihren Fall sowie auch für die Fälle anderer Aktivistinnen im Iran zu erzeugen, denen die Hinrichtung droht. Wir müssen ihnen zur Seite stehen, den Druck auf die iranische Botschaft verstärken, der bereits durch Nichtregierungsorganisationen besteht.
Gibt es Chancen, Vrishe Moradi aus dem Gefängnis herauszukommen?
Wir wenden uns ans Auswärtige Amt. Wir wollen die Kampagne stärken und eine Demonstration organisieren. Es läuft schon viel, leider sind die Erfolgsaussichten sehr gering. Aber wir werden nicht aufgeben. Die Bundesregierung hat die »Jin, Jîyan, Azadî«-Bewegung (Frau, Leben, Freiheit, jW) im Stich gelassen, die »feministische Außenpolitik« blieb aus.
Sind Ihnen noch andere, ähnliche Fälle bekannt?
Der Oberste Gerichtshof Irans bestätigte bereits das Todesurteil gegen die Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi. Jeden Moment kann es passieren, dass sie aus der Zelle geholt und hingerichtet wird. Sharife Mohammadi, eine Arbeiterin und Frauenrechtlerin, wurde auch »bewaffneter Aufstand gegen den Staat« unterstellt. Richter Ahmad Darvish Goftar verurteilte sie wegen »Aufruhr« zum Tod. Ihre Revision wegen nachweislicher Verfahrensfehler war erfolgreich. Ende 2024 kam es zur zweiten Gerichtsverhandlung unter Vorsitz des Sohnes des ersten Richters. Am 13. Februar erging schriftlich das zweite Todesurteil gegen sie.
Wir setzen uns gemeinsam mit den NGOs für alle drei Frauen ein. Die Todesurteile müssen aufgehoben werden. Sie sind ein Angriff gegen das Leben, die Freiheit und die Frauen. Diese Kräfte braucht die iranische Gesellschaft, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.
Yurtsever Özdemir koordiniert im Büro des Berliner Bundestagsabgeordneten Ferat Koçak (Die Linke) die Arbeit zu dessen Patenschaft für Vrishe Moradi
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