Ungestört in Moskau
Von Reinhard Lauterbach
Die Ukraine hat ihre Drohungen, die Siegesparade zum 80. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus anzugreifen, nicht wahrgemacht. Der Aufmarsch von 11.500 Soldaten und einigen Dutzend Exemplaren schwerer Militärtechnik blieb am Freitag ungestört. Ausländische Delegationen waren vor allem aus Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas erschienen. Einzige Vertreter Europas waren der slowakische Regierungschef Robert Fico und der serbische Präsident Aleksandar Vučić. Prominentester Gast war der chinesische Parteichef Xi Jinping, der die Parade auf einem Ehrenplatz neben Wladimir Putin verfolgte und sich den TV-Bildern zufolge angeregt mit ihm unterhielt. Anwesend waren auch die Staats- und Regierungschefs von Belarus und den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte dagegen seine Teilnahme kurzfristig wegen des Konflikts mit Pakistan abgesagt. Fern blieb der Parade entgegen anfänglichen Zusagen auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan.
Von der militärischen Seite her hielt sich die Zahl der beteiligten Soldaten mit 11.500 im Rahmen des langjährigen Durchschnitts. 1.500 von ihnen sollen Teilnehmer der »Speziellen Militäroperation« in der Ukraine gewesen sein, meist militärisch hochdekorierte Soldaten. Eine Neuheit war die Beteiligung der Ehrenformationen aus 14 Ländern des globalen Südens und Ostens: sie repräsentierten neben den an der Zeremonie teilnehmenden Exsowjetrepubliken auch China, die Mongolei, Vietnam und Myanmar sowie Ägypten. Nach der Parade, also außerhalb des eigentlichen Zeremoniells, begrüßte Wladimir Putin betont herzlich eine Delegation offenbar – nach dem Livekommentar des russischen Staatsfernsehens – nordkoreanischer Soldaten, die an den Kämpfen im Kursker Bezirk teilgenommen hätten. Die Schau militärischer Technik war zurückhaltend und weniger umfangreich als sonst. So beschloss nur eine nuklearfähige Interkontinentalrakete vom Typ »Jars« diesen Teil. Insbesondere fehlte der modernste Panzer der russischen Armee, die »Armata«. Das Modell ist offenbar technisch noch nicht ausgereift; 2024 war ein Exemplar davon auf der Anfahrt zur Parade mit einem Motorbrand ausgefallen.
Auf den Ukraine-Krieg ging Putin in seiner etwa zehnminütigen Ansprache nur am Rande ein: Er beschwor, dass die ganze russische Gesellschaft die in der Ukraine kämpfenden Soldaten unterstütze, und er nannte unter den wichtigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs auch die am Dnjepr Ende 1943 – also die Rückeroberung der Ukraine.
Zentraler Punkt von Putins Rede war der Aufruf zur nationalen Einheit. Er würdigte den Einsatz der Generation der Veteranen, die »unsere tausendjährige Geschichte und Kultur und die traditionellen Werte« verteidigt hätten. Da wurde das sowjetische Erbe doch ziemlich auf aktuelle Bedürfnisse hin umgeschminkt. Ebenso dankte Putin den Angehörigen der östlichen und südlichen Exrepubliken für den gemeinsamen Kampf und sagte, die Weltgeschichte werde sie alle, von Armeniern bis zu Tadschiken, für immer als »russische Soldaten« in Erinnerung behalten.
An der abschließenden Zeremonie am Grab des Unbekannten Soldaten fiel auf, dass das russische Protokoll den slowakischen Regierungschef Fico gut sichtbar in unmittelbarer Nähe Putins plaziert hatte. Man kann es als Wink sehen, dass Russland auch Europa nicht aus dem Blickfeld verloren hat.
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