Primož Roglič gegen das Feld
Von Holger Römers
Wenn am 9. Mai der 108. Giro d’Italia beginnt, dessen erste drei Etappen in Albanien ausgetragen werden, wird Vorjahressieger Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG) nicht am Start sein. Das heißt, die erste Grand Tour, die im Straßenradsport der Männer im Jahreskalender steht, könnte diesmal einen weniger vorhersehbaren Verlauf nehmen als noch 2024. Allerdings gibt es wieder einen klaren Favoriten: Zwar ist Primož Roglič (Red Bull – BORA – Hansgrohe) mittlerweile 35 Jahre alt, doch dem Sieger von 2023 ist eine Wiederholung jenes Erfolgs allemal zuzutrauen, nachdem er erst im vergangenen September die letzte dreiwöchige Landesrundfahrt, die Vuelta a España, zum vierten Mal gewonnen hatte.
Zudem konnte der Slowene auch bei seinem jüngsten Auftritt Ende März beeindrucken: Den Gesamtsieg der einwöchigen Katalonienrundfahrt schien er zwar bereits vermasselt zu haben, da er durch Ungeschicklichkeiten sowohl in einem Zielsprint als auch in Zwischensprints Zeitbonifikationen verschenkt hatte, doch dann verblüffte die Selbstsicherheit, mit der Roglič bei der wirklich allerletzten Gelegenheit in Barcelona die Entscheidung erzwang und solo zum Gesamt- und zweiten Tageserfolg raste. Dass Juan Ayuso (UAE Team Emirates – XRG) sich in seiner Geburtsstadt den fast sicheren Gesamtsieg entreißen ließ, weil er an der Kuppe des Montjuïc den Angriff nicht parieren und in der gefährlichen Schlussabfahrt den Rückstand nicht begrenzen konnte, dürfte Spuren hinterlassen haben. Trotzdem gilt der 22jährige, der Mitte März den Tirreno-Adriatico gewonnen hat und 2023 beziehungsweise 2022 Vierter und Dritter der Vuelta war, beim Giro nicht nur als Anwärter auf den Gewinn des Weißen Trikots für den besten jungen Fahrer, sondern auch als Hauptkonkurrent von Roglič.
Jedenfalls kann Ayuso auf Edelhelfer vertrauen, die gegebenenfalls selbst die Top ten erreichen könnten: Der 32jährige Brite Adam Yates erreichte in den vergangenen vier Jahren bei der Tour de France stets Plazierungen zwischen Rang drei und neun; der 29jährige Australier Jay Vine konnte indes in der vergangenen Woche Gesamtdritter sowie Etappensieger bei der Tour de Romandie werden. Rogličs Team hat dagegen den 29jährigen Kolumbianer Daniel Felipe Martínez vorzuweisen, der 2024 Giro-Zweiter war, sowie den gleichaltrigen Australier Jai Hindley, dem bei seiner letzten Teilnahme 2022 der Gesamterfolg gelang und der Ende April immerhin Achter der Tour of the Alps wurde.
In noch besserer Form präsentierte sich bei dem knapp einwöchigen Vorbereitungsrennen Thymen Arensman (Ineos Grenadiers), als er die Königsetappe trotz Sauwetters mit einer 80-Kilometer-Solofahrt gewann. Der 25jährige Niederländer, der in beiden Vorjahren jeweils Sechster beim Giro war, darf wohl ebenso auf eine Verbesserung hoffen wie Michael Storer (Tudor Pro Cycling Team). Der 28jährige Australier, der 2024 Giro-Zehnter war, ließ sich am letzten Tag der Tour of the Alps von Kollegen seinen Großangriff vorbereiten und krönte eine perfekte Mannschaftsleistung, indem er solo genügend Vorsprung auf Arensman herausfuhr, um einem vorherigen Etappensieg den Gesamtsieg hinzuzufügen. Auf Gesamtplatz drei landete derweil der 27jährige Kanadier Derek Gee (Israel – Premier Tech), der nun seinerseits darauf spekulieren dürfte, beim Giro noch besser abzuschneiden als bei der letztjährigen Tour de France, wo er Neunter wurde.
Die heimischen Hoffnungen sollten wiederum auf dem 30jährigen Giulio Ciccone (Lidl – Trek) und dem zwei Jahre jüngeren Lorenzo Fortunato (XDS Astana Team) ruhen. Ersterer war bei der vergangenen Tour de France immerhin Elfter und konnte nach einem vierten Rang bei der Tour of the Alps zuletzt als Zweiter bei Lüttich–Bastogne–Lüttich beeindrucken. Letzterer war 2024 Giro-Zwölfter und errang jüngst in der Romandie neben dem vierten Gesamtplatz einen Etappensieg. Unwahrscheinlich ist hingegen, dass ihrem 23jährigen Landsmann Antonio Tiberi (Bahrain – Victorious) ein ähnlich gutes Ergebnis wie Platz fünf im Vorjahr gelingen könnte. Die Tour of the Alps musste er jedenfalls krankheitsbedingt aufgeben.
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