»Die Branche braucht diese Läden«
Von Niki Uhlmann
»Der Kleine Buchladen« im Karl-Liebknecht-Haus macht dicht. Erst mal rein betriebswirtschaftlich betrachtet: Woran ist das Geschäft gescheitert?
Akut an eingebrochenen Umsätzen, die sich seit Corona nicht erholt haben. Hart gesagt: Ein Teil unserer Kundschaft hat diese Krise nicht überlebt. Unsere Stammkundschaft besteht eher aus älteren Genossen. Die Buchkultur der nachwachsenden Genossen ist eine andere: Man braucht Werbung, Social-Media-Konzepte, ganz viele Dinge, die wir in der Kürze der Zeit nicht aufbauen konnten. Die vorigen Inhaber hatten ganz andere Startbedingungen. Unsere Werbeträger waren das Neue Deutschland und jW.
Schon 2011 stand der Laden vor dem Aus. Damals haben Genossen und Stammkunden Unterschriften gesammelt – mit Erfolg. Die Miete wurde gesenkt. Der Laden blieb erhalten. Warum ist das heute nicht mehr möglich?
Der Laden zahlt seit 2011 keine Miete mehr und rechnet sich trotzdem nicht. Eigentlich muss ich nur die Personalkosten decken. Mir selbst zahle ich seit einem halben Jahr kein Gehalt. Ich kann kaum das der Auszubildenden bezahlen. Dass eine Soli-Kampagne heute so nicht mehr möglich ist, liegt daran, dass überall Soli-Kampagnen sind. Das ND braucht Hilfe, die jW braucht Hilfe, die Linke Medienakademie braucht Hilfe, die Linkspartei braucht Hilfe. Wer braucht keine Hilfe? Offensichtlich sind die Probleme größer als der Buchladen und das Karl-Liebknecht-Haus.
Ein Aspekt ist die Entsolidarisierung unter linken Betrieben. Irgendwie sollten alle die Schüsse gehört haben und erkennen, dass man sich jetzt zusammenschließen und solidarisch wirtschaften muss. Darum wollen wir doch Sozialismus: Man will ein alternatives Wirtschaftsmodell aufbauen, das besser funktioniert als Kapitalismus, so dass Leute besser leben können. Oft muss ich mir statt dessen von Linken anhören: »Noch leben wir im Kapitalismus, also müssen wir damit klarkommen.« Nur kommen sie nicht damit klar – trotz Spendenkampagnen. Man muss gemeinsame Vertriebskanäle aufbauen und Kosten reduzieren. Wir haben ungefähr 5.000 Kleinstverlage. Vertrieb, Grafik und Lektorat machen die alle selbst. Wenige haben dadurch extrem viel Arbeit, die vernünftiger aufgeteilt werden könnte. Meine Erfahrung ist auch, dass es genügend Leute gibt, die daran interessiert sind. Nur mangelt es allen an Energie und Zeit.
In der Pressemitteilung heißt es, unter Linken habe »sich ein durch idealistische Selbstausbeutung verschleierter Neoliberalismus in die Arbeitsprozesse eingeschlichen, mit dem ein unabhängiges Kleinstunternehmen nicht mithalten kann«. Was ist damit gemeint?
Linke idealisieren sich als Linke und nehmen deswegen Selbstausbeutung oder Ausbeutung in Kauf. Sie denken, man mache das für die Sache. Die linken Betriebe, die ich mir angeschaut habe, haben viele ungelernte Leute, meist Akademiker ohne externe Berufserfahrung, die sehr viel mit sich machen lassen. Linke sparen an Stellen, wo auch Neoliberale sparen. Mir wurde beispielsweise geraten, das Gehalt der Auszubildenden zu kürzen. Wenn aber dieser Buchladen nicht so aufgebaut werden kann, dass zwei Leute davon leben können, dann ist er das nicht wert, dann ist das kein Buchladen der Welt wert.
Laut Janis Ehling, dem Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, würde jetzt »intensiv« geprüft, »ob und wie sich ein Teil der Arbeit des Buchladens fortführen lässt«. Was hat denn Die Linke bisher versucht, um den Laden zu retten?
Die Linkspartei kann keinen Parteitagsbeschluss machen: »Kauft jetzt alle da ein!« Über ihre Finanzen bin ich nicht gut genug informiert, um zu urteilen. Inzwischen hat aber ein Informationsaustausch stattgefunden, der in den Jahren zuvor weitgehend eingeschlafen war. Ich weiß, dass der Laden vielen Linke-Mitgliedern wichtig ist. Wenn die Partei möchte, dass es im Haus eine Buchhandlung gibt, dann wird es wieder eine geben. Die Frage ist nur, wie schnell das geht. Gern stehe ich beratend zur Seite, wenn meine Hilfe gewünscht ist.
»Der Kleine Buchladen« ist auch ein Begegnungsort der Linkspartei. Was geht mit dem Buchladen verloren?
Wir haben wie der Wachschutz vor allem zu Coronazeiten in gewisser Form den Bürgerdialog übernommen. Generell erzählt mir die Basis oder auch die ehemalige Basis im Buchladen, was sie denkt und was sie will. Ich habe immer versucht, diese Anliegen auch den Leuten mitzuteilen, die sie sonst nicht mitbekommen. Dieser Informationspunkt geht verloren, kann aber mit gutem Haustürwahlkampf kompensiert werden. Der Buchladen wird kein vollkommenes Vakuum hinterlassen.
Haben kleinere linke Buchläden überhaupt noch eine Chance?
Ja. Es gibt Einkaufsgenossenschaften, die auch linke Buchhändler nutzen können, ohne ihr Profil aufgeben zu müssen. Die Überschneidungen in anarchistischen und sozialistischen Buchhandlungen sind ohnehin riesig. Und die Buchbranche braucht diese Läden.
Warum?
Die Bildungsungerechtigkeit schlägt sich am Buchmarkt deutlich nieder. Viele, die in den Verlagen, den Gremien des Börsenvereins und drumherum sitzen, sind Bürgertum und Adel. Die sprechen vor allem mit und zu ihrer Klasse. Auf kreative Ideen, wie man anderen das Lesen näherbringt, kommen sie nicht. Eher machen sie folgende Milchmädchenrechnung: Kaufen weniger Leute Bücher, müssen wir die Preise steigern, denn die, die wirklich lesen wollen, zahlen dafür gern drauf und gleichen aus, dass günstigere Angebote wegfallen. Man kann aber nicht irgendwann nur noch ein ganz teures Buch im Jahr drucken und davon den Buchmarkt finanzieren. Wenn man ein schlechtes Bildungssystem und nur noch teure Bücher hat, dann hat man irgendwann gar keine Leser mehr. Darum empfehle ich die Ausbildung allen jungen Menschen, die vielleicht noch nicht ganz wissen, wohin mit sich: Macht eine Ausbildung zum Buchhändler, egal ob bei Thalia oder wo auch immer.
Was ist denn deine schönste Erinnerung im Buchladen?
Es gab immer wieder rührende Momente. Einmal kam ein Mann in den Laden, der hat mir erzählt, dass seine Frau, die Analphabetin war, kürzlich gestorben sei. Jahrelang hatte er aus Rücksicht nicht gelesen. Dann hat er ein Buch gekauft. Das war natürlich total traurig, aber ebenso bewegend. Spaß hat mir immer gemacht, jungen Menschen Hinweise zu geben, was sie lesen könnten. In der Schule fällt vieles unter den Tisch. Damit meine ich nicht Theorie, sondern Weltliteratur. Das Antiquariat ist voller DDR- und Weltliteratur, mit antifaschistischen Autoren aus der ganzen Welt. Man kann gern, muss aber nicht, Trotzki und Stalin lesen. Heine tut es auch.
Wanja Nitzsche ist seit Juni 2023 Inhaber des »Kleinen Buchladens« im Karl-Liebknecht-Haus
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