Wenn du ein Problem hast …
Von Alexander Kasbohm
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ist wie Superpunk, knallt nur weniger. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, zumindest kein grundsätzlicher. Schließlich ist man ja auch keine 20 mehr. Oder 30. Und 40 ist man auch nicht mehr … Die eher schlendernde denn vorpreschende Musik passt ausgezeichnet zu der Persona, die Carsten Friedrichs seit Superpunk-Tagen aufgebaut und verfeinert hat: ein Hallodri und eleganter Tagedieb, irgendwo zwischen Werner Enkes Martin aus »Zur Sache, Schätzchen«, May Spils’ Klassiker von 1968 und Helmut Fischers »Monaco Franze«. Nur mit mehr Fußball und Politik.
Die Bezüge zu Northern Soul sind stark wie eh und je, das wird sich vermutlich auch nie ändern, zu tief ist die Verbindung der Bandmitglieder zu dieser Musik, die ja eher eine Kultur als ein Stil ist. Vermutlich das einzige Genre, das nicht nach dem Ort benannt ist, wo die Musik entstand (verstreut über die USA), sondern dem, an dem sie ihren kulturellen Einschlag hatte, nämlich in den Arbeiter- und Jugendklubs Nordenglands.
Der proletarische Einschlag ist natürlich auch nur Pose. Oder sagt man da heute »kulturelle Aneignung«? Auf jeden Fall ist Pop ohne Pose nicht denkbar, und wie jede gute Pose entsteht auch diese aus Sehnsucht und Solidarität. Wo wir beim Thema sind: »Song für die ALU« auf dem neuen Album »Egg Benedict« ist eine Solidaritätsbekundung an die Amazon-Angestellten, die gegen große Widerstände in den USA eine Gewerkschaft gründeten. Die Frage ist, was man mit einer Gewerkschaft im Spätkapitalismus noch ausrichten kann. Die Antwort könnte lauten: global, gesellschaftlich wenig, individuell, für den Augenblick vielleicht das entscheidende Bisschen. Doch es geht auch gar nicht um solche Detailfragen, es geht darum, von Menschen zu erzählen, die nicht aufgeben.
»Es ist immer Sommer irgendwo« ist ein potentieller Hit für den potentiellen späten Frühling. Eine Aufforderung, sich von den Umständen nicht unterkriegen zu lassen. Zur Not muss man den Sommer der anderen appropriieren. Irgendwo ist immer Gin o’clock. In »Ich geh lieber allein« nimmt der HSV-Fan Friedrichs Bezug auf die auch vom FC Sankt Pauli verwendete Liverpooler Fußballhymne »You’ll Never Walk Alone«, aber nicht aus vereinspolitischer Renitenz, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, die Vorzüge des Flanierens im eigenen Tempo preisend, ohne den Druck der anderen. Völlig richtige Beobachtung hier: »You’ll Never Walk Alone« kann von sensiblen Individualisten durchaus als Drohung verstanden werden.
»Egg Benedict« ist ein Spaziergang durch das idealisierte München der Seele. Nicht viele Hamburger lieben München (Fön! Komische Sprache! Fremdartige Sitten!), die Liga tut es dafür um so mehr. Hier hat alles und jeder Platz: In »Hedy Lamarrs siebter Mann« wird die Film-noir-Schauspielerin (»The Strange Woman«, 1946) und Erfinderin (Wifi, stark vereinfacht gesagt) Hedy Lamarr besungen, mit stimmlicher Unterstützung durch Andreas Dorau, »Sonniges Süd Schwabing« ist eine gepfiffene Hymne an einen Ort der Sehnsucht. »Ist Gunther da?« ist ein schluffiger Cod-Reggae, »Wenn du ein Problem hast« ein psychotherapeutischer Schwinger mit dem klugen Rat »Wenn du ein Problem hast – scheiß drauf!« Oft leichter gesagt als getan, aber einen Versuch ist es immer wert.
Die Platte ist – wie eigentlich alle von DLDGG/Superpunk – ein Versuch, die Welt nicht so wichtig zu nehmen, sich von ihr nicht unterkriegen zu lassen. Ein swingendes Pfeifen im düsteren Walde der Welt. Es wird überhaupt viel gepfiffen auf dieser Platte. Die innere Ilse Werner will schließlich auch zu ihrem Recht kommen. Die Platte erfindet das Rad nicht neu, aber sie rollt schön.
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen: »Egg Benedict« (Tapete Records)
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