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Aus: Ausgabe vom 09.05.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Gaza vor Annexion

Israels Regierung beschließt Operation »Gideons Streitwagen« zur ethnischen Säuberung des Küstenstreifens
Von Gerrit Hoekman
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Die Welt schaut zu, während Israel Menschheitsverbrechen ankündigt und ausführt (Gaza, 8.5.2025)

Der Gazastreifen wird immer mehr zu einem Schlachthof. Obwohl Israel behauptet, der Sieg über die Hamas stehe kurz bevor, sterben jeden Tag Dutzende Menschen durch israelischen Bombenterror. In Beit Lahia im Norden waren am Donnerstag morgen laut der Agentur WAFA mindestens fünf Todesopfer zu beklagen, als die Besatzungsmacht aus der Luft das Haus einer Familie angriff. Bei Khan Junis im Süden kam ein Mädchen in einem Zeltlager für Vertriebene durch israelischen Artilleriebeschuss ums Leben. Ebenfalls am Donnerstag wurde die Leiche eines Mädchens gefunden, das seit dem 6. Mai vermisst war, als die Besatzungstruppen Granaten auf eine Schule im Flüchtlingslager Al-Bureidsch in Gaza-Stadt abfeuerten. In der Schule waren Vertriebene untergebracht. Obwohl mittlerweile alle Schulen in Gaza als Notunterkünfte dienen, werden sie von Israel weiter unter Feuer genommen. Die Armeeführung behauptet stets, dort hätten sich auch Kämpfer der Hamas oder des Islamischen Dschihad aufgehalten. Beweise dafür hat Israel nie vorgelegt.

Was Israel außer totaler Zerstörung mit dem Gazastreifen noch vorhat, wird immer deutlicher. »Die israelische Armee plant, die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen, die gesamte Bevölkerung auf ein kleines Gebiet im Süden zu vertreiben und den Palästinensern nur so viel Nahrung zu geben, dass sie nicht verhungern«, berichtete das Onlinemagazin Middle East Eye (MEE) am Mittwoch. Israel spricht von einer »humanitären Schutzzone«, aus der die Hamas vollständig vertrieben werden soll. Die Militäroperation trägt den Namen »Gideons Streitwagen«. Gideon ist ein Richter aus dem gleichnamigen Buch der Bibel. Er führte die Israeliten zum Sieg über die Midianiter, einen arabischen Beduinenstamm. Am 4. Mai stimmten laut MEE alle Mitglieder des israelischen Sicherheitskabinetts dem Plan zu. »Die Bevölkerung wird umgesiedelt«, erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dazu lapidar auf X. Bereits vor der Sitzung hatte das israelische Militär die Mobilisierung von Zehntausenden Reservisten bekanntgegeben.

Nächste Woche besucht Donald Trump die Region. Sollten sich Hamas und Israel bis zu seiner Abreise nicht auf einen Geiselaustausch geeinigt haben, soll sich »Gideons Streitwagen« auf den Weg machen. Die Aussichten für die Palästinenser in Gaza sind dabei mehr als düster. Zwei Millionen Menschen sollen auf einem Bruchteil der vorherigen Fläche zusammengepfercht werden. »Die israelische Armee wird in Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet Kontrollpunkte an den Hauptstraßen errichten, die zu den Gebieten führen, in denen die Zivilisten aus Gaza im Gebiet Rafah untergebracht werden«, heißt es laut MEE in einem Militärbericht. Wer und was nach Rafah rein- oder rauskommt, bestimmen die Bewacher. Beispielsweise sollen nur 60 Lastwagen mit Hilfsgütern am Tag passieren dürfen. Während der vergangenen Waffenruhe waren es zehnmal so viele. Die Verteilung der Lebensmittel sollen unter anderem private US-Sicherheitsfirmen übernehmen.

Das alles hat nur ein Ziel: Die Palästinenser sollen gezwungen werden, den Gazastreifen »freiwillig« zu verlassen. Das israelische Portal Ynet berichtet erneut davon, dass Israel mit mehreren Ländern über eine Aufnahme von Palästinensern verhandle. Unterdessen will Israel offenbar die seit zwei Monaten dauernde Hungerblockade mit allen Mitteln undurchlässig halten. Am Donnerstag wurden laut WAFA zwei palästinensische Fischer vor der Küste von Gaza verletzt, als die israelische Marine ihr Boot unter Feuer nahm.

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