An der Grenze
Von Kristian Stemmler
Die Entscheidung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), dass Zurückweisungen von Menschen an deutschen Grenzen fortan auch dann möglich sein werden, wenn ein Asylgesuch vorliegt, hat zunächst vor allem in den Nachbarländern für teils scharfe Kritik gesorgt. Polen, Österreich und die Schweiz warnten die neue Bundesregierung vor Verstößen gegen EU-Recht. Im Inland kam Kritik vor allem von Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei. Die SPD stellte sich dagegen hinter den Koalitionspartner.
Am Mittwoch abend hatte Dobrindt bestätigt, dass er eine mündliche Weisung aus dem Jahr 2015 zurückgenommen hat, laut der Drittstaatsangehörigen ohne die notwendigen Papiere die Einreise zu gewähren sei, wenn ein Asylgesuch vorliege. Die Zahl der Zurückweisungen solle »nach und nach steigen«, erklärte Dobrindt. Neu ist diese Praxis nicht: Seit der Anordnung von stationären Kontrollen an allen Landgrenzen im September 2024 wurden laut Bundespolizeipräsident Dieter Romann bereits rund 23.000 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen oder »zurückgeschoben«.
Dobrindt verwies auf Paragraph 18 des Asylgesetzes, dem zufolge die Einreise verweigert werden kann, wenn ein Asylsuchender aus einem sicheren Land einreist. Und die Bundesrepublik ist, so die herrschende Auffassung, vollständig von sicheren Ländern umgeben. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass solche Zurückweisungen nur in Abstimmung mit den Nachbarländern geschehen sollen. Dobrindt versicherte, er sei in ständigen Gesprächen mit den Nachbarn.
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk warnte den neuen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Mittwoch abend bei dessen Antrittsbesuch in Warschau davor, einseitige Schritte einzuleiten. Er verstehe das »Bedürfnis nach verstärkten Grenzkontrollen«. Aber dies sollte vor allem für die Außengrenzen gelten, so Tusk. Merz versicherte, die Grenzkontrollen würden in einer Art und Weise erfolgen, »die für unsere Nachbarn verträglich ist«. Insbesondere die polnische Regierung befürchtet, dass Geflüchtete nicht mehr nach Deutschland weiterziehen können. Das verstärkt dort das ohnehin vorhandene Bestreben, die Zurückweisungen gleich an den EU-Außengrenzen durchzuführen.
Auch die Schweiz kritisierte die neuen Regelungen. »Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht«, schrieb das Schweizer Justizministerium auf X. Die Schweiz sorgt sich offiziell darum, dass schärfere Kontrollen das Leben von Pendlern erschweren. Aus Österreich kam ebenfalls Kritik. Das vom konservativen Gerhard Karner (ÖVP) geführte Innenministerium pochte auf Einhaltung des geltenden EU-Rechts.
Als »schlicht europarechtswidrig« bezeichnete die Grünen-Politikerin Irene Mihalic die angekündigten Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen. Dobrindts Vorgehen stelle die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern »grundsätzlich in Frage«, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Carla Bünger, flucht- und rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion, teilte mit, sie habe bei ihrem Besuch an der deutsch-polnischen Grenze mit mehreren Personen gesprochen, »die Asyl beantragen wollten und dennoch von der Bundespolizei zurückgewiesen wurden«. Dies sei »Rechtsbruch mit Ansage«.
Die SPD unterstützt das Vorgehen dagegen ausdrücklich. Die geplante Verstärkung der Bundespolizei durch Bereitschaftspolizei an den Grenzen sei »eine richtige Entscheidung«, erklärte Dirk Wiese, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, am Donnerstag gegenüber dem Portal Politico. Auch die »Parteilinke« stehe hinter der Agenda des Innenministers. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci konstatierte gegenüber Reuters immerhin ein Risiko, dass »der humanitäre Grundgedanke verletzt wird«.
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