Kanonen statt Frieden
Von Nico Popp
Achtzig Jahre nach der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands haben am Donnerstag die ranghöchsten Vertreter der Bundesrepublik Deutschland an das Kriegsende am 8. Mai 1945 erinnert. Schauplatz war der Plenarsaal des Bundestages, zugegen waren neben den Abgeordneten der Bundeskanzler, Ministerinnen und Minister, der Bundespräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Eingeladen worden waren auch Botschafterinnen und Botschafter – nicht allerdings jene aus Russland und Belarus, die 2025 mit noch grimmigerer Entschlossenheit von großen und kleinen Gedenkveranstaltungen ferngehalten worden waren als in den Vorjahren.
Die Reden hielten Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Kennzeichnend für beide Auftritte war das kaum noch verschleierte Bestreben, den 8. Mai 1945 – genauer: eine Deutung dieses Tages, die als nützliche Geschichte taugt – für das aktuelle Staatsprogramm in Dienst zu stellen. Dieser Modus des eigenen Auftritts hielt allerdings weder Klöckner noch Steinmeier davon ab, anderen genau diese Indienstnahme vorzuwerfen: In Moskau finde ein »Missbrauch der Geschichte« (Klöckner) statt, indem versucht werde, den Krieg in der Ukraine mit dem Verweis auf den Krieg gegen Nazideutschland zu rechtfertigen.
Die Bundestagspräsidentin, Vertreterin eines Parlaments und einer Partei, in dem und in der lange von »Russland« und »den Russen« gesprochen wurde, wenn von der Sowjetunion die Rede war, dozierte nun: »Die Rotarmisten kamen nicht nur aus Russland.« Diese Einsicht bildete den Übergang zum Schlusspunkt ihrer Rede: Um »Frieden und Freiheit« zu bewahren, müssten »wir« in der Lage sein, »uns militärisch zu verteidigen«. Wer befreit wurde, der sei auch verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen – das sei »der Auftrag des 8. Mai«. NATO-Ideologie auf Merkblattniveau mit simulierter Ableitung aus dem 8. Mai 1945 – das ist selbstverständlich kein »Missbrauch«.
Der große Aufschlag kam allerdings von Steinmeier, der sich sogar die Zeit nahm, der Sowjetunion vorzuwerfen, im Osten Deutschlands den Weg für eine »neue Diktatur« bereitet zu haben. Dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war, sei heute »Kern unserer gesamtdeutschen Identität«, versicherte der Bundespräsident. Für diese Befreiung dankte er »Amerikanern, Briten und Franzosen«. Man wisse auch, welchen »Beitrag« die Rote Armee geleistet habe. Aber »gerade deshalb« trete man »den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen. Auch wenn das morgen bei den Siegesfeiern in Moskau wieder behauptet werden sollte: Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus.« Diese Geschichtslüge sei eine »Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen«. Ließe man die Ukraine schutzlos und wehrlos, hieße das, die Lehren des 8. Mai zu verraten. Zu diesen Lehren gehört auch für Steinmeier die Aufrüstung gegen Moskau: Man müsse alles tun, um »Putins Landnahme aufzuhalten«, und dazu auch »militärisch stärker werden«.
Das war alles sehr dicht dran an der seit 2022 in deutschen Intelligenzblättern verfochtenen Ansicht, dass Hitler inzwischen in Moskau sitzt. Das Fußvolk zieht inzwischen praktische Schlüsse: An den sowjetischen Ehrenmalen in Berlin versuchten am Donnerstag grinsende Gestalten, die Besucher mit NATO-Fahnen zu provozieren.
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