Deflationsgefahr in der Schweiz
Von Dominic Iten
Es wurde erwartet, dass die US-amerikanische Zentralbank (Fed) am Mittwoch den Leitzins von 4,25 bis 4,50 Prozent beibehält. Der Schritt deutete sich an und die Märkte preisten den Entscheid bereits im Voraus ein. Die meisten Marktbeobachter gingen bislang von Zinssenkungen frühestens im Juli oder Dezember aus. Bis jW-Redaktionsschluss lag noch keine Entscheidung der Zentralbank vor.
Im Gegensatz zur Fed hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) nicht gegen Inflation zu kämpfen, sondern gegen eine zu starke Währung und drohende Preisdämpfung. Die Schweizer Inflationsrate ist im April auf 0,0 Prozent gesunken, der Schweizer Franken notiert um 0,80 Franken pro US-Dollar und damit nahe einem Zehn-Jahres-Hoch. Eine vergleichbare Franken-Stärke gab es zuletzt 2015, als die SNB ihre Euro-Untergrenze aufhob.
Damit wächst die Deflationsgefahr. Grund für den Rückgang der Teuerung sind etwa stark gesunkene Preise für Importgüter, vor allem im Energiebereich. Bedeutender scheint aber, dass sich der Schweizer Franken gegenüber den Währungen wichtiger Handelspartner deutlich aufgewertet hat. Nicht nur der Dollar-Kurs ist rapide gesunken, auch der Euro-Kurs liegt inzwischen bei gerade mal 0,93 Franken. Die durch neue US-Zölle ausgelöste Unsicherheit würde internationale Gelder in den »sicheren Hafen Schweiz« treiben, schrieb jüngst die NZZ.
Offensichtlich ist die Schweiz in akuten Krisen nach wie vor eine beliebte Adresse für Stabilität und Sicherheit. Aber bei einer Inflation von 0,0 Prozent drohen Nachfrage und Investitionen nachzulassen. Die Folgen wären weniger Aufträge, steigende Arbeitslosigkeit, stagnierende Löhne, gedämpfte Konsumlaune. Bei einem aktuellen Leitzins von 0,25 Prozent hat die SNB kaum noch Spielraum, die Wirtschaft mit Zinssenkungen zu stimulieren, ohne in Negativzinsen abzurutschen.
Kommt hinzu, dass größere Devisenmarktinterventionen den Vorwurf einer Währungsmanipulation durch die USA wieder aufleben lassen könnten. Das ist politisch heikel, nachdem man 2020 bereits kurzzeitig auf der »Manipulatorenliste« stand. Deshalb gilt ein weiterer Zinsschnitt als diplomatisch schonender Weg, um die Franken-Stärke abzubremsen.
Der neue SNB-Chef Martin Schlegel hat in den vergangenen Monaten wiederholt signalisiert, vor Negativzinsen nicht zurückzuschrecken. Das sorgt für Nervosität auf der Kapitalseite: Es drohen schrumpfende Zinsmargen, Kapitalmarktverzerrungen und Blasenrisiken. Auch die neuen Arbeitsmarktdaten konnten das Bild nicht aufhellen: ein Rückgang der Arbeitslosigkeit zwar, allerdings nur um 1,9 Prozent. Die Nachfrageseite am Arbeitsmarkt bleibt also schwach, der Teuerungsdruck gering und die Wahrscheinlichkeit für Negativzinsen hoch.
Diese würden Sparern mit geringen Rücklagen jede Verzinsung entziehen, so dass sich Ersparnisse kaum oder gar nicht mehr vermehren. Das trifft vor allem Arbeiter, die nicht in Aktien oder Sachwerte investieren können, weil ihnen das nötige Kapital, Wissen oder Netzwerk dafür fehlt. Statt ihre kleinen Puffer wieder aufzufüllen, sähen sie sich gezwungen, riskantere Anlagen einzugehen oder Konsum und Vorsorge einzuschränken. Auf der anderen Seite werden Kredite potentiell günstiger, wobei große Anleger und Unternehmen freilich stärker von diesen Finanzierungsbedingungen profitieren. Egal wie nervös das Kapital auf die drohenden Negativzinsen reagiert: Unter dem Strich würden sie die Umverteilung von unten nach oben befördern – von kleinen Sparern und Lohnabhängigen hin zu Kapitalbesitzern und Finanzinstitutionen.
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