Rotlicht: Gaslighting
Von Felix Bartels
Familien, Freundschaften, Kollegien, sexuelle Partnerschaften – menschliche Beziehungen sind nie bloß durch Zuneigung oder gemeinsame Ziele bestimmt. Es geht auch um die Behauptung des Ich gegen den Anderen. Ein Schlüsselbegriff der populären Psychologie ist Gaslighting, das eine Spielart psychischer Manipulation bezeichnet. Frauen scheinen deutlich öfter betroffen, wobei die vorliegenden Daten abhängig von den gemeldeten Fällen sind.
Die Bezeichnung geht zurück auf das Theaterstück »Gas Light«, verfasst 1938 vom britischen Autor Patrick Hamilton. Darin manipuliert ein Mann seine Partnerin, indem er behauptet, Dinge nicht zu sehen, die sie sieht. Das Flackern der titelgebenden Gaslaterne, das er leugnet, besorgt er dabei selbst. Sein Ziel besteht darin, die Frau an ihrer Wahrnehmung und damit an sich zweifeln zu lassen. Die Unterdrückung ist nicht körperlich, sie ist mental.
Für Gaslighting bedarf es allerdings nicht zwingend eines aktiven Fingierens. Es genügt, Definitionsmacht über Vergangenes zu beanspruchen. Das Motiv ist Kontrolle. Kontrollbedürfnis wieder entspringt oft der Angst, unter Kontrolle zu geraten. Der Täter handelt als Täter, weil er fürchtet, selbst Opfer zu werden. Als weiche Erscheinungsform tritt Gaslighting in vielen Beziehungen auf, auch zwischen Menschen ohne ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen. Für die harte Form lässt sich sagen, dass Täter nicht selten dissoziale (ICD-10, F60.2) oder narzisstische (F60.8) Störungen besitzen. Auch Borderliner (F60.3) können Strategien des Gaslighting anwenden, um die emotionale Ausbeutung des Partners dem Partner gegenüber einzuordnen. Was die Opferseite betrifft, sind der ängstliche (F60.6) und der abhängige (F60.7) Typus besonders anfällig.
Gaslighting beginnt nicht erst, wo um das Opfer herum eine Wirklichkeit kreiert wird. Es beginnt bei der Umdeutung von Gefühlen, dem Unterstellen von Motiven, dem Abstreiten von Motiven, dem nachträglichen Leugnen von Handlungen oder Aussagen, dem nachträglichen Behaupten von Handlungen oder Aussagen, es beginnt bei Schuldverschiebung, Wort-im-Mund-Herumdrehen, beim permanenten Abwerten des Partners anlässlich seines Verhaltens, seiner Kleidung, der Signale, die er aussende usw.
Gaslighting beginnt nicht bereits, wo zwei Menschen vergangene Ereignisse verschieden deuten oder erinnern. Erst, wo Definitionsmacht beansprucht wird, man zugleich also Streitender und Richter sein will, kann einigermaßen valide von Gaslighting gesprochen werden. Der Gaslighter glaubt, grundsätzlich besser zu wissen, was geschehen und gültig ist. Hinzu tritt die Einbeziehung von Dritten. In der ausgeprägtesten Form, indem das Opfer isoliert wird, damit keine Stimme von außen die Definitionsmacht in Frage stellen kann. In der weicheren Form, indem der Gaslighter sich (ohne deren Wissen) auf Dritte beruft oder bei Dritten hinterm Rücken des Opfers ein bestimmtes Bild von der Person etabliert. Zu dieser Handlungsweise gehört, dass er sein Gesicht nur dem Partner zeigt, während er sich Dritten gegenüber anders gibt. In allen drei Varianten – der physischen Isolation von Dritten, dem indirekten Berufen auf Dritte und dem direkten Herbeirufen von Dritten – wird das Vertrauen der Person in die eigene Wahrnehmung, das eigene Empfinden, die eigene Erinnerung diskreditiert und ihr Selbstbild so abgebaut.
Da Gaslighting sowohl im Erheben von Vorwürfen als auch in ihrer Abwehr bestehen kann, hat der Begriff therapeutisch Grenzen. In der Kommunikation zweier Menschen fehlt die dritte Instanz, Einschätzungen zu verifizieren. Was immer da bemüht wird, wird nachträglich in die Situation hineingetragen. Opfer von Gaslighting können durchaus mit Gegen-Gaslighting reagieren. Täter können die Abwehr, die sie hervorrufen, ihrerseits als Gaslighting etikettieren. Daher scheint sinnvoll, nicht allein auf die Streitdynamik, sondern auch darauf zu achten, wo die Konflikte beginnen und welche Person sie tendenziell in Gang setzt, was für Dritte aber kaum möglich ist.
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