Das trostlose Paradies
Von Kai Köhler
Die Vertreibung aus dem Paradies war Härte und Fortschritt zugleich. So jedenfalls zeigte es Peter Hacks in seinem Drama »Adam und Eva« von 1972. Die Menschen verloren ein allzu statisches Glück und gewannen die Freiheit, mittels Arbeit ihre eigene Geschichte zu schaffen. Dabei war bereits das Paradies keineswegs widerspruchsfrei. Schließlich hatte Gott dort den Apfel plaziert, den zu essen streng verboten war. Denn kein Gehorsam ist denkbar ohne die Möglichkeit, nicht zu gehorchen.
Hacks nutzte das christliche Erbe, um ein Spiel über Dialektik und Geschichte in Gang zu setzen, und zwar heiter in Komödienform, ohne dabei auf Liebe und Sex zu verzichten. Wenn dies nun zur Grundlage einer Oper wird, ist eine Frage nicht am Platz: nämlich, ob die Librettistin Anne-May Krüger und der Komponist Mike Svoboda brav den Inhalt des Dramas übermittelt haben. Das Stück ist schon in der Welt, und es wäre sinnlos, es in einer anderen Gattung ein zweites Mal herzustellen. Vielmehr interessiert das Neue.
Natürlich hat Krüger stark gekürzt (zu singen dauert viel länger als zu sprechen), und sie hat Hacks’ Sätze vereinfacht. Das ist sinnvoll, damit der gesungene Text verständlich bleibt. Freilich hat Gott anspruchsvoll formulierte Sätze behalten. In der Oper tritt Gott als Sprecher auf (Sebastian Hufschmidt), in Einheit mit einem kleinen Chor aus zwölf Personen, der das Gesagte als Echo begleitet. So ist Gottes Sonderrolle hervorgehoben, allerdings auch seine Einsamkeit, die erst das Geschehen in Gang setzt: Er braucht ein Gegenüber.
Zu den Stärken der Komposition gehört die Textverständlichkeit. Svoboda setzt die Stimmen und verwendet das Orchester so, dass fast jedes Wort nachvollziehbar ist. Zudem schreibt er eine Musik, die Möglichkeiten für Bewegungen auf der Bühne eröffnet. 18 Musiker genügen dem Komponisten, der auch die Uraufführung mit Mitgliedern des HR-Sinfonieorchesters dirigierte, um eine abwechslungsreiche Vielfalt an Klangfarben hervorzubringen: wenige Streicher, ein paar Bläser, klein besetztes Schlagzeug, ein Akkordeon. Nach sparsamen Begleitfiguren zu Beginn tendieren die späteren Teile zu einem dichteren Satz, die Steigerungen sind dramaturgisch klug verteilt. Freilich bleiben die musikalischen Motive oft diffus. Die Einspielung vorproduzierter Chöre trägt nicht zur Durchhörbarkeit bei. So fehlen Orientierungspunkte fürs Publikum, was bei einem (mit Pause) zweieinhalbstündigen Abend zum Problem wird.
Die Inszenierung von Andrea Moses beruht, bei manch gelungenen Einzelheiten, auf einem Missverständnis: dass bei Hacks das Paradies für die DDR gestanden habe, als einer aus seiner Sicht idealen Gesellschaft. Nun weiß jeder, der sich mit marxistischer Theorie beschäftigt hat, dass Sozialismus allenfalls das Vorstadium des Kommunismus ist (und sogar der ist nicht widerspruchsfrei zu denken). Hacks sah, als er »Adam und Eva« schrieb, die DDR als seine Gesellschaft auf dem Weg zum Ideal, doch keineswegs als dessen Verkörperung.
Natürlich muss die Inszenierung einer Oper keineswegs den Gedanken des Autors folgen, dessen Drama dem Werk zugrunde liegt. Allerdings ist in Schwetzingen das Paradies ein trostloser grauer Felsen, umgeben von Bildern noch trostloserer Plattenbauten. Entsprechend folgen auf den Biss in den Apfel Aufnahmen der »friedlichen Revolution« in der DDR – das gilt als Befreiung. Dies nun tut weder dem Dichter noch dem Komponisten einen Gefallen. Drama und Oper scheinen damit einer fernen Vergangenheit verhaftet. Widerspruch überhaupt als Bedingung von Entwicklung – das wird in historische Distanz gerückt.
Widerspruchsvoll gerät freilich das Ende. Die Bühne ist mit Müll des verlorenen Paradieses gefüllt. Textpassagen, in denen Hacks seine Philosophie komprimiert hat, sind genregerecht vereinfacht, doch geraten sie zur unreflektierten Feier von Freiheit. Gott wird zum trotzigen Greis verkleinert, der sich bis auf die Unterhose auszuziehen hat. Svoboda wollte laut Programmheft mit einer energischen Musik enden, die als »Aufforderung zum Tun als etwas Schönes empfunden wird«; doch tritt die Musik derart auf der Stelle, dass sie wie eine Kritik an der Schwundform von Freiheit, die der Liberalismus bietet, gehört werden kann.
Die Uraufführung (am 2. Mai) bei den Schwetzinger SWR-Festspielen ist eine Koproduktion mit dem Landestheater Linz, das sie im Herbst übernehmen wird. Schon jetzt hat Linz die Besetzung der Gesangsrollen gestellt. Tina Josephine Jaeger als Eva und Alexander York als Adam überzeugen. Ins Zentrum rückt die Auseinandersetzung zwischen dem gottestreuen Engel Gabriel (Morgane Heyse) und dem abgefallenen Engel Satanael (Manuela Leonhartsberger), die beide mit großer stimmlicher und szenischer Präsenz agieren. Beinahe vergisst man, dass beide – angesichts Gottes, der für die Einheit des Weltganzen steht, in der Inszenierung aber allzu unfreundlich behandelt wird – nur Einseitigkeiten repräsentieren.
Die Heiterkeit von Hacks’ Komödie, das Vertrauen auf das Weltganze und den menschheitsgeschichtlichen Fortschritt, ist ein gutes halbes Jahrhundert später kaum mehr zu haben. Komposition wie Inszenierung sind davon gekennzeichnet. Der Freiheitsbegriff ist verkleinert zu einer Freiheit von etwas Negativem, statt einer Freiheit zu etwas Positivem. Vielleicht aber könnte eine andere Inszenierung das musiktheatralische Potential der Oper für die Gegenwart in den Vordergrund rücken.
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