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Aus: Ausgabe vom 07.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Wurst des Tages: Synthetische Pelle

Von Susanne Knütter
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Pellwurst

So eine Diskussion ist vermutlich nur in Deutschland möglich. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beschäftigte sich am Dienstag mit der Frage, ob nicht essbare Wursthüllen und Clips zur Füllmenge zählen oder nicht. Die beiden vorherigen Instanzen waren sich da uneinig. Nun muss eine Grundsatzentscheidung gefällt werden. Befremdlich? Mitnichten. Ein Kollege merkt zurecht an: Erstens würde sich sonst wohl kein (juristisches) Gericht damit beschäftigen. Zweitens hat doch jeder schon die Erfahrung gemacht: Kassler ist nach dem Braten nur noch halb so groß. Ein anderer Kollege wendet ein, die Pelle ist vermutlich noch das Natürlichste an der Wurst. Auch er hat Recht. Wenn du am Imbiss gefragt wirst: »Mit oder ohne Darm?«, dann besteh auf die Pelle. Zumindest da weißt du, woran du bist.

Wird hierzulande mal geprüft, werden die Kontrolleure oft fündig: verdorbene, überlagerte oder durch Gefrierbrand geschädigte Haxen, umetikettierte Schlachtabfälle, Hundefutter, das zu Döner verarbeitet werden soll. Wegwerfmentalität kann man der hiesigen Lebensmittelindustrie wirklich nicht vorwerfen. Abgelaufenes Hackfleisch im Supermarkt? Das wird nicht weggeschmissen, das bekommt ’ne neue Verpackung.

Wer auf Nummer Sicher gehen will, muss draufzahlen. Wer das nicht kann, muss weiterhin potentiell Vergammeltes essen. Denn gesund ernähren, das wird uns jeden Tag gesagt, heißt »Bio« kaufen. Dabei stimmt selbst das nicht mal. Auch Biohühner können billigeres, aber verseuchtes Futter bekommen, wie der Dioxinskandal 2011 zeigte.

Wenn das Bundesverwaltungsgericht nun entscheiden sollte, dass Strippen, synthetische Pellen, Metallverschlüsse und so weiter beim Produktgewicht eingerechnet werden dürfen, dann heißt es in Zukunft: Böses aus der Dose? – Das war gestern. Ab jetzt gibt es: Dose. Aber auch nur dann, wenn das in der Produktion billiger ist.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. Mai 2025 um 20:34 Uhr)
    Ach, wie schön: Endlich wieder ein Paradebeispiel deutscher Rechtskultur im Rampenlicht! Ein Hoch auf die Demokratie, wie sie bei uns gelebt wird – als feinsäuberlich durchexerzierte Bürokratie-Operette. Dass dabei der gesunde Menschenverstand keine Rolle spielt, versteht sich von selbst. Der ist schließlich kein Gesetzestext und darf, wenn überhaupt, nur als »subjektive Meinung« unter der Hand mitgeführt werden. Ob Clips und ungenießbare Pellen zur Füllmenge zählen – bitte, wer braucht da schon Logik, wenn man auch eine teure Gerichtsverhandlung haben kann? Jeder Supermarktkunde weiß: Netto ist, was auf dem Teller landet. Aber wehe, man spricht das laut aus – am Ende wird man noch wegen mangelnder juristischer Differenzierungsfähigkeit verunglimpft! Natürlich ist die Antwort einfach: Nein, Müll wie Clips und Plastikpelle ist keine Wurst. Doch das wäre zu banal für die feinsinnige Welt der Paragraphenakrobatik. Wozu sonst bräuchten wir all die promovierten Bürokratie-Magier, wenn nicht für solche Sternstunden der Rechtspflege? Fazit: Deutschland – das Land, in dem selbst die Wurst ihr Grundsatzurteil bekommt. Wo Justitia den Unterschied zwischen Bratgut und Beipackzettel klärt. Na dann: Guten Appetit – aber bitte mit Pelle. Die ist wenigstens echt.

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